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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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warteten auf Kinder, denen sie Essbares stibitzen konnten. An diesem tristen Neujahrstag waren nur wenige Touristen unterwegs, die im Windschatten von Dolly’s Tee Cabin standen und Pappbecher mit Tee und zuckrige Donuts in den Händen hielten, während sie ihren Kindern zuriefen, dass sie sich vor Pfützen und eisigen Flächen in Acht nehmen sollten.
    Wie anders waren da früher die munteren Ausflüge meiner chaotischen Großfamilie ans Meer gewesen, bei denen keine Sekunde lang Trübsinn oder Tristesse aufgekommen war. Die Erinnerungen wärmten mich in der eiskalten Brise, die heute wehte. Das Ritual war immer dasselbe: Erst wurde mithilfe einer kratzigen Decke und eines gestreiften Windschutzes das Territorium abgesteckt, und dann übernahm Onkel Owen die Aufgabe, auf einem Petroleumkocher Würstchen zu garen und sie dampfend heiß in längliche Brötchen zu legen. Großtante Non und Oma Jenkins saßen auf ihren Liegestühlen, behielten trotz der flirrenden Sommerhitze ihre Stützstrumpfhosen und Wickelstrickjacken an und lästerten genüsslich über Gott und die Welt. Nachdem sich alle mit Tee und Keksen gestärkt hatten, gaben sie Anekdoten aus ihrer Schulzeit in einem großen Internat an der Südküste Englands zum Besten. Darin kamen Fliegerbomben und dreiste amerikanische Piloten namens Joe oder Brad vor, mürrische Hausmütter, die mit krummem Rücken Messing polierten und Brot buken und riesige, schwer zu bedienende Holzöfen befeuerten.
    Die exotischen Geschichten meiner Großmutter, die sie erzählte, während sie zwischendurch an ihrem dünnen Tee nippte, konnten sich bis weit in den Nachmittag ausdehnen. Sie schien schon im zarten Alter von neun oder zehn Jahren Dinge erlebt zu haben, die sich in meinen Ohren aufregend und ein bisschen gewagt anhörten. Als Backfisch hatte sie einen Verehrer nach dem anderen gehabt, und jeder hatte ihr wunderbar frivole und vollkommen unpraktische Geschenke gemacht, die er speziell für sie ausgesucht hatte, um ihrer Schönheit zu huldigen, zum Beispiel einen extravaganten Hut mit roten Kirschen darauf oder eine Krokodilledertasche mit strassbesetzter Schließe.
    Dan hingegen hatte mir einmal einen Northface-Rucksack zu Weihnachten geschenkt, den ich seither für meine Sportsachen benutzte.
    »Mehr, Oma, erzähl uns noch mehr Geschichten!«, hatte ich als kleines Mädchen immer gedrängt, während ich im Schneidersitz vor ihr im Sand saß und hingerissen lauschte.
    Oberhalb der Stelle, an der wir damals unsere Familienpicknicks gemacht hatten, verlief heute ein betonierter Fußweg, an dem sich die Imbissbuden drängten. Dahinter entdeckte ich trotz der Kälte ein halbes Dutzend hartgesottener Surfer im Wasser, die sich mit dicken Neoprenanzügen, Gummischuhen und schwarzen Kopfhauben vor der Kälte schützten. Hin und wieder erwischte einer von ihnen eine Welle und fuhr davon, während der Rest der Meute wie große schwarze Seehunde auf den Wogen wippte. Ein paar pastellfarbene Campingbusse parkten hintereinander im Halteverbot entlang des Fußwegs.
    Ich sog die kalte Luft ein und wappnete mich für das, was nun kommen würde. Aufmerksam musterte ich die Busse und die Surfer, die um sie herumstanden, um zu sehen, ob ich vielleicht einen von ihnen erkannte. Dabei schlenderte ich unauffällig erst auf der einen Seite und dann auf der anderen an den Campingbussen vorbei. Keiner hatte ein Haimotiv auf der Seite. Das wäre ja auch zu einfach gewesen.
    Ein Grüppchen aufgeschlossen wirkender Surfer, die noch ihre Neoprenanzüge trugen und Wollmützen aufhatten, stand Kaffee trinkend und Hotdogs essend vor einem der Busse. Irgendwo musste ich ja anfangen, meine Fragen zu stellen. Ob ich mich ausreichend vorbereitet hatte, würde sich zeigen.
    Mit wildfremden Menschen ein Gespräch anzufangen, ohne mich hinter meiner Funktion als Pressereferentin zu verschanzen, war absolutes Neuland für mich. Am Telefon war ich ein Ass, dort fiel es mir nicht schwer, auch unangenehme Fragen zu stellen. Wenn man nicht den abschätzenden Blicken eines Gegenübers ausgesetzt ist, ist es einfacher, ruhig zu bleiben und hartnäckig die eigenen Ziele zu verfolgen. Ich war es gewohnt, auf die Stimmen der Menschen zu achten und aus Klang und Tonfall herauszuhören, ob sie Besänftigung brauchten oder eine resolute Behandlung vertrugen. Dabei konnte ich mich stets an vorgegebenen Verhaltensmustern orientieren und wusste genau, wie weit ich gehen durfte.
    Meine heutige Mission war etwas ganz anderes.

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