Der Preis des Schweigens
ungefähr vorstellen, wie es aussah, und fügte spontan hinzu: »Mit ganz vielen Blumen drumherum, so im hawaiianischen Stil. Habt ihr den zufällig irgendwo gesehen?«
»Nein, sagt mir nichts. Surfst du auch in der Gegend? Ich hab dich noch nie hier gesehen. Glaube ich zumindest. Du surfst bestimmt in Rest Bay, oder? Da surfen die meisten, die von außerhalb kommen.«
Ich trug Jeans, Converse-Turnschuhe, eine halbwegs coole Fleecejacke von Dan, die er zum Wandern anzog, und eine Pudelmütze. Dazu hatte ich mir die Surfer-Armbänder übers Handgelenk gestreift, die ich in Gower gekauft hatte. Ich wollte aussehen wie jemand, der den ganzen Tag am Strand verbrachte und ab und zu ein paar Wellen surfte, jemand, der einen vollkommen harmlosen Grund dafür hatte, einen Surfer und seinen Bus zu suchen.
»Ja«, hörte ich mich lügen. »Aber ich bin die totale Anfängerin, echt, ich surfe erst seit ungefähr einem Jahr. Von Rest Bay komme ich gerade, aber da geht gar nichts. Ist sowieso viel zu kalt heute.« Da geht gar nichts. Diesen Satz hatte ich auf dem Weg von meinem Auto zum Strand aufgeschnappt und jetzt instinktiv in meine Lüge eingebaut, damit ich authentischer wirkte. Obwohl ich nicht genau wusste, was in Surferkreisen damit gemeint war, sagte ich es so selbstverständlich, als hätte ich verkündet, dass mir zu Hause die Milch ausgegangen sei. Dennoch war ich unsicher, ob ich glaubhaft wirkte. Ich kam mir vor, als würde über meinem Kopf in riesigen Leuchtbuchstaben das Wort »Blenderin« stehen.
Aber der Anführer grinste nur und sagte: »Ja, hier ist es jetzt auch weniger geworden, lohnt sich nicht mehr. Meine Jungs und ich waren draußen, bis uns halb die Eier abgefroren sind.« Die Runde kicherte. Ich entdeckte einen wunderschönen Wal auf dem Surfbrett des Anführers, das an der Fahrertür lehnte. Das Design ähnelte dem von Carls »Monster«, denn auch dieser Wal war von hawaiianischen Blumen umgeben. Mein Interesse entging dem Alphasurfer nicht.
»Gefällt dir mein Wal?«
»Absolut. Carl, ein Freund von mir, hat auch so eins, aber bei ihm ist es ein Hai.«
»Ach, den Typen kenne ich. Carl aus Penallt, stimmt’s?« Seine Zunge tat sich schwer mit der walisischen Aussprache des doppelten »l«. »Der ist so was von stolz auf seine Bretter. Ein ziemlicher Exzentriker, aber das sind die älteren Surfer meistens. Zu viel …« Er tat so, als würde er an einem Joint ziehen. »Der hat so viel gekifft in seinem Leben, dass er glaubt, er wäre in Kalifornien. Wenn du mich fragst, ist weniger oft mehr, was Drogen angeht. Alles in Maßen.«
»Ich weiß genau, was du meinst. Man muss sein Limit kennen«, sagte das Surfer-Girl, das seit Neuestem in meinem Kopf wohnte.
»Stimmt«, gaben mir die beiden Surfer recht, die auf der Bordsteinkante saßen. Nachdenkliches Nicken machte die Runde.
»Hast du deinen Wal auch in Nottage malen lassen? Carl meinte, dass es da so einen Typen gibt, der sich darauf spezialisiert hat. Ich bin am Überlegen, ob ich mir auch was auf mein Brett malen lasse.«
»Ja, Santos hat die besten Farben und Designs. Er designt dir bestimmt was Cooles, aber sieh zu, dass du ihn runterhandelst. Der hält sich für Picasso. Wehe, du lässt dir einen Wal malen! Der gehört mir.«
Es war offenbar nicht das erste Mal, dass seine Freunde erklären mussten, warum ihr Anführer ein Alleinrecht auf Wale für sich beanspruchte, denn einer von ihnen zeigte erst auf ihn und dann auf das Surfbrett. »Darf ich vorstellen? Jona … und der Wal.«
»Nur dass ich auf dem Wal reite und mich nicht von ihm verschlucken lasse«, stellte der Anführer klar.
»Du heißt Jona?« Herr Jesus auf dem Fahrrad, dieser Typ hat bestimmt mehr Kohle, als ihm guttut , dachte ich. Ich wette, deine Eltern wünschen sich, dass du dir endlich einen anständigen Haarschnitt und einen Job zulegst.
»He«, sagte Jona, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen. »Vielleicht kennt Santos ja deinen Freund mit dem Hai auf dem Bus. Er malt ständig Haie, das ist seine Spezialität.«
Sag bloß? , dachte ich. Allmählich machte mir das Flirten richtig Spaß, und ich entspannte mich ein wenig. So schlimm war es gar nicht, Detektivin zu spielen und die Leute auszufragen. Jona schrieb mir die Adresse von Santos’ Surf-Shop auf.
»Du willst nicht zufällig noch ein bisschen Gras mit uns rauchen?«, fragte er lässig, während er mir den Zettel gab.
Sehe ich aus wie eine Kifferin? , dachte ich entrüstet. Cannabis ist immer noch
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