Der Preis des Schweigens
Warum?«
»Weil er meinte, dass er vielleicht seinen Bus verkaufen will. Er hat mir seine Handynummer gegeben, aber ich habe sie irgendwo verlegt.« Ich zuckte mit den Schultern, als wollte ich sagen: Typisch, das passiert mir ständig.
»Nee, tut mir leid«, sagte er, aber dann hielt er nachdenklich inne und kramte in der Schublade seines Ladentischs herum. »Warte mal, könnte sogar sein, dass ich dir helfen kann.« Er zog einen losen Zettel hervor, auf dem in unleserlicher Schrift etwas notiert war. »Er kommt am Freitag in einer Woche gegen Nachmittag vorbei, um das Surfbrett abzuholen, das er vor ein paar Wochen bestellt hat. Plant anscheinend eine längere Reise im Ausland, der Glückspilz. Ich selbst komme ja heutzutage nicht mehr weiter als bis Newquay.«
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das klang zu einfach, um wahr zu sein. »Er kommt also am Freitag, um seine Rechnung zu bezahlen«, wiederholte ich.
»Nein, um sein Brett abzuholen. Bei mir läuft nichts mehr ohne Vorkasse. Bin doch nicht bescheuert. Gibt so viele unzuverlässige Typen da draußen, die sich mit Gras zudröhnen. Dabei sollte es beim Surfen eigentlich um was ganz anderes gehen, nämlich um das Naturerlebnis. Du weißt, was ich meine, Baby.«
Ich nickte. Diesbezüglich konnte ich ihm aus ganzem Herzen zustimmen. »Dann mal vielen Dank. Ich überlege mir das mit dem, äh … mit diesem Künstlerfreund von dir.«
»Nimm doch eine hiervon mit. Man weiß nie, ob man nicht mal eine mobile Disco braucht.« Er zog eine Visitenkarte aus der Hosentasche, auf der groß »Dons Disco« stand.
»Ich dachte, du heißt Santos? Oder ist das dein Nachname?«
»Nein, mit Nachnamen heiße ich Protheroe, und mein Vorname ist Don, aber das hat irgendwie nicht den richtigen Vibe, finde ich. Seit Hawaii 1976 nennen mich alle nur noch Santos.«
»Du arbeitest also auch als DJ?«
»Ja, ich mache alles. Hochzeiten, Partys, achtzigste Geburtstage. Classic Rock, Dance, Oldies. Bringt ein bisschen Extrakohle ein. Mit Surfzubehör wird man leider nicht reich. Irgendwann müssen wir alle mal auf einen halbwegs grünen Zweig kommen. Mein Sohn will nächstes Jahr nach Swansea auf die Uni.«
»Echt?« Ich war überrascht darüber, dass Santos einen erwachsenen Sohn hatte, der auch noch studieren wollte. »Kann man da nicht neuerdings sogar ein Surfdiplom machen?«, fragte ich plump, weil mir nichts anderes einfiel.
»Stimmt. Langsam übertreiben sie’s, oder? Ein Surfdiplom ! Aber Dean will Jura studieren und nicht so ein Versager werden wie sein alter Herr. Wer kann es ihm verdenken? Also, lass es mich wissen, wenn du dein Surfbrett bemalt haben willst.«
Freitag. Das Wort hallte durch meinen Kopf, während ich Santos zum Abschied zuwinkte. Nächsten Freitag holt Justin sein Brett ab.
Bis dahin blieben noch zehn Tage. Wie sollte ich nur so viel Geduld aufbringen? Ich musste mir eine Ausrede ausdenken, um an besagtem Freitag früher Feierabend machen zu können, damit ich rechtzeitig in Nottage war.
9.
A lso habe ich zu der alten Hexe gesagt, mein Gott, sie ist noch so klein! Jetzt geben Sie ihr doch wenigstens die Chance, sich einzugewöhnen. Sie hat mich angeguckt, als wäre ich der letzte Dreck, aber von dieser vertrockneten alten Schachtel lasse ich mir bestimmt nicht sagen, dass meine Tochter verhaltensgestört ist!« Becky war so richtig in Fahrt, und es war nicht ratsam, sie jetzt zu unterbrechen, also schwieg ich einfach und hörte zu.
Es war nämlich so, dass meine Freundin Becky nicht nur ein Problem mit ihrem Freund hatte, sondern auch mit Izzy, ihrer dreieinhalbjährigen Tochter. Izzy ging seit September in den Kindergarten und fand es dort immer noch doof. Ihr schien nicht klar zu sein, dass es sich dabei um eine Dauerregelung handelte, gegen die sich nichts ausrichten ließ. Für eine Dreijährige war das vermutlich ein völlig normales Verhalten, auch wenn sie so überdurchschnittlich intelligent war wie Izzy. Jeden Montagmorgen begann das Spiel von neuem: Izzy fing an zu weinen und klammerte sich mit beängstigender Hartnäckigkeit am Bein ihrer Mutter fest. Becky beschrieb mir diese sich wöchentlich wiederholende Szene ausführlich, während sie mit der Hand sehnsüchtig über die Seiden- und Taftkreationen strich, die dicht an dicht in der Brautmoden galerie hingen (wie die übereifrige Verkäuferin betont hatte, handelte es sich nicht etwa um ein schnödes Geschäft, sondern um eine Galerie ).
Es war Donnerstag, also ging ich davon aus,
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