Der Preis des Schweigens
damals wieder. Er hatte immer noch dieselben wilden, ausgebleichten Locken und dieselbe unnatürlich wirkende Bräune. Die Wände seines Ladens waren mit Postern tapeziert, auf denen wagemutige Kerle atemberaubend hohe Wellen abritten, die türkisblau und kristallklar waren und ganz anders aussahen als die schlickigen Flussmündungswellen vor Porthcawl. Aber man durfte ja träumen. Auf den Kleiderständern hingen teure Neoprenanzüge neben Freizeitbekleidung von Billabong und Reef. Im hinteren Teil des Ladens gab es einen zweiten Raum, in dem Surfbretter in allen Größen und Farben gestapelt waren.
»Hey, Chica, was kann ich für dich tun?«, fragte Santos gut gelaunt. »Fröhliches neues Jahr, übrigens!«
»Ebenso«, antwortete ich und erwiderte sein strahlendes Lächeln. Aus der Nähe betrachtet war Santos älter als erwartet, Anfang fünfzig vielleicht. Er saß auf einem Hocker neben der Kasse und zeichnete etwas auf einen großen Skizzenblock. Ich erkannte vertraut wirkende Blumen und Blätter und eine vollbusige Schönheit mit Hularöckchen.
»Also, was kann ich für dich tun?«
»Ich wollte mit dir sprechen.«
»Oh, was habe ich jetzt schon wieder ausgefressen? Schulde ich dir Geld?«, fragte er grinsend.
Warum glauben diese Surfer ständig, dass mir jemand Geld schuldet?, überlegte ich. »Nein, aber ich interessiere mich für deine Designs. Ich will vielleicht mein Surfbrett bemalen lassen, und du bist mir empfohlen worden.«
»Aha. Und von wem, wenn ich fragen darf?«
»Von einem Typen, dem ich in Gower begegnet bin. Du hast seinen Campingbus für ihn bemalt. Ein Hai, der einen Seehund frisst? Er meinte, du würdest dich bestimmt an ihn erinnern. Vielleicht könntest du für mich etwas Ähnliches entwerfen.«
Santos kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Ja, ich erinnere mich. So ein blau-weißer VW-Bus, stimmt’s? War ein paarmal hier im Laden. Busse sind eigentlich nicht so mein Ding, meistens bemale ich Boards. Hat ewig gedauert, bis das Ganze fertig war, aber der Hai war auf jeden Fall eine meiner besten Arbeiten. Paul hieß der Typ, den Nachnamen weiß ich nicht mehr. Aber ich hatte ihn eigentlich gebeten, es nicht weiterzusagen. Ich führe nämlich in erster Linie einen Surf-Shop. Die Designs sind sozusagen eine private Gefälligkeit für Freunde. Wenn ich mich dafür bezahlen lassen würde, müsste ich das Ganze beim Finanzamt anmelden. Ich bin doch nicht blöd.«
»Ah«, sagte ich und verstand genau, was er mir damit sagen wollte. »Wärst du eventuell bereit, mir so eine private Gefälligkeit zu erweisen?«
»Na ja, dafür müsste ich dich erst ein bisschen näher kennenlernen, Süße. Schließlich sind wir bis jetzt noch keine Freunde, oder?«
Es folgte ein unbehagliches Schweigen, und ich fürchtete schon, dass meine Nachforschungen an dieser Stelle ihr vorzeitiges Ende fänden. Noch während ich fieberhaft überlegte, wie ich weitere Fragen zu Justin (beziehungsweise Paul) stellen konnte, ohne übertrieben neugierig zu wirken, schob mir Santos beiläufig ein DIN-A4-Blatt zu, das er aus seinem Notizblock gezogen hatte. Darauf war eine Liste mit Designbeispielen und den jeweiligen Preisen abgedruckt. Ich wollte die Liste in die Hand nehmen, aber Santos legte einen Finger darauf und schüttelte den Kopf. Man durfte sich die Liste offenbar nur im Laden ansehen.
»Die Designs macht eigentlich ein Freund von mir«, fuhr er fort. »Er ist, äh … Künstler von Beruf. Wenn du interessiert bist, könnte ich dich vielleicht an ihn weitervermitteln.«
»Alles klar«, sagte ich mit einem nachdrücklichen Nicken. »Kann gut sein, dass ich darauf zurückkomme.«
Er zwinkerte mir zu. »Sehr gut. Sonst noch irgendwas? Wir hätten da heute zum Beispiel Sex Wax im Angebot.« Ich starrte ihn entsetzt an, aber zu meiner Erleichterung schob er mir einen rosa Block mit Surfbrett-Wachs über den Ladentisch.
»Danke, aber bei mir ist alles perfekt gewachst.« Das flapsige Surfer-Girl hatte wieder die Führung übernommen.
Er grinste und bedachte mich mit einem Blick, der zu sagen schien: »Du weißt doch noch nicht mal, wo bei einem Surfbrett hinten und vorne ist, Baby.« Aber meine Unwissenheit störte ihn offenbar nicht im Geringsten. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass es nicht viel gab, was Santos störte.
»Du hast nicht zufällig irgendwo die Telefonnummer von diesem Paul notiert, oder? Wo er doch ein Freund von dir ist?«
»Nein, Süße, ich bin nicht so der Typ für Schreibkram.
Weitere Kostenlose Bücher