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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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genaue Anzahl unserer Hochzeitsgäste durchgeben, damit sie die Sitzordnung festlegen kann. Außerdem hat noch jemand von der Blumenfirma angerufen – so ein tuntig klingender Typ namens Stanley, glaube ich.«
    Dan erschien mit einem Geschirrtuch über der Schulter in der Tür. Er hielt einen Löffel in der Hand, von dem eine klumpige rote Soße aufs Parkett tropfte. Ich stellte müde meine Tasche ab und zeigte auf die Bolognesekleckse.
    »Oh, Mist«, sagte er und bückte sich, um sie mit dem Geschirrtuch zu entfernen, bevor er mir einen Kuss auf die Wange gab. »Du siehst fertig aus. Harter Tag? In der Kanne ist heißer Tee, ich gieße dir einen ein. Das Essen ist in zehn Minuten fertig.«
    Er zog sich in die Küche zurück und klapperte mit Geschirr herum, während ich mir mühsam Jacke und Schuhe auszog. Im Wohnzimmer liefen die Fernsehnachrichten in voller Lautstärke, und ich beeilte mich, sie leiser zu stellen. In meinem Kopf hämmerte es auch so schon genug. Mit der einen Hand sammelte ich zwei benutzte Tassen und eine Snickers-Verpackung ein und mit der anderen Dans achtlos abgestreifte Arbeitsschuhe. Dann ging ich zurück in die Küche.
    Saunahitze schlug mir entgegen, und unter der Decke hing träge eine Dunstwolke, die von dem sprudelnden Nudelwasser auf unserem Gasherd aufstieg.
    »Mach doch dieses Abzugsding an, Dan«, sagte ich zu seinem Rücken und setzte mich an den Küchentisch, auf dem ein Stapel mit aufgeschlagenen Urlaubskatalogen lag.
    »Ist doch kaputt«, antwortete er und öffnete stattdessen ein Fenster. Ich widerstand dem Drang, aufzustehen und die bespritzten Oberflächen sauber zu wischen und die benutzten Küchengeräte einzuweichen. Das mochte Dan nämlich gar nicht. Außerdem war ich zu müde, um mich zu bewegen.
    »Guck dir das Hotel ganz oben auf dem Stapel an«, sagte Dan und wies auf die Kataloge. »Der Pool ist genial. Und wenn man sich langweilt, sind die umliegenden Berge ideal zum Wandern. Da ist weit und breit gar nichts, also gibt es auch garantiert keine Touristenhorden oder Bierproleten. Die Flüge gehen ab Bristol.«
    Tiefblaues Meer und makellos weiße Sandbuchten schimmerten mir entgegen. Mir war heiß und schwindelig. Seit wir das Hochzeitsdatum festgelegt hatten, sprach Dan über nichts anderes mehr als unsere Flitterwochen. Mehr als die Hälfte der notwendigen Vorbereitungen für die Hochzeit waren noch zu erledigen (Stanley war nicht der Einzige, der mir wegen der Anzahlung und der definitiven Gästezahl hinterhertelefonierte), aber Dan schien nur daran interessiert, die Flitterwochen in trockene Tücher zu bringen. Man hätte meinen sollen, dass es machbar wäre, sich auf ein Reiseziel zu einigen, aber beim Thema Reisen waren Dan und ich schon immer unterschiedlicher Meinung gewesen, und seine Vorschläge für unsere Flitterwochen bildeten keine Ausnahme.
    Für ihn bestand ein perfekter Urlaub darin, am Strand oder am Pool herumzuliegen und zwischendurch ein bisschen zu wandern. Er bevorzugte abgelegene Hotels mitten in der Natur, vielleicht mit einer einfachen Taverne oder Bar, in der man abends eine Kleinigkeit essen und ein paar Bierchen trinken konnte. Stichwort Griechenland, Balearen oder Portugal.
    Ich hingegen war das komplette Gegenteil. Seit ich als Kind einen Atlas zu Weihnachten bekommen und staunend die Landkarten und Bilder betrachtet hatte, träumte ich davon, das Kolosseum zu erkunden, die Decke der Sixtinischen Kapelle zu bewundern, aus den Brunnen der Alhambra zu trinken, mich mit beiden Füßen unters Brandenburger Tor zu stellen oder auf das Empire State Building zu steigen, dieses Wunderwerk des Art déco.
    Ich hatte mir immer gewünscht, diese Träume mit Dan teilen zu können, und mir vorgestellt, wie wir Hand in Hand zwischen antiken Steinen herumkletterten und den Duft von Freesien einatmeten, oder einen Bellini in Venedig oder in irgendeiner anderen geschäftigen europäischen Bar tranken, oder uns unter einem weiten Sternenhimmel küssten.
    Aber es sollte nicht sein.
    Schon unsere erste gemeinsame Reise war ein großer Misserfolg gewesen. Kurz vor Beginn meines zweiten Studienjahres hatten wir einen Kurzurlaub zusammen unternommen, bei dem ich Dan nach Amsterdam geschleift hatte, in der Überzeugung, dass er nur einen kleinen Anstoß brauchte, um meine kulturbetontere Vorstellung von Urlaub schätzen zu lernen und sich für urbane Sehenswürdigkeiten zu erwärmen. Die Flüge waren billig gewesen, und Amsterdam war ein absolutes Pflichtziel

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