Der Preis des Schweigens
genau mitbekommen, aber es gab Gerüchte, dass er etwas mit der Tochter des Pfarrers von Pennard hatte. Pater Miller, glaube ich. Wir kannten ihn nicht persönlich, aber das Mädchen war ein paarmal mit Paul hier. So ein mageres Ding mit schwarzen Haaren, ziemlich schüchtern. Paul war damals ja schon älter, und meine Mädchen waren an der Uni, daher war es nicht mehr so wie früher, als alle Kinder noch zusammen hier auf dem Platz gespielt haben.
Na ja, jedenfalls hat Paul sie offenbar in Schwierigkeiten gebracht, Sie wissen schon. Und da die beiden nicht verheiratet waren und sie die Pfarrerstochter war, gab es einen ziemlichen Skandal. Die Familie des Mädchens ist dann irgendwo ins Hochland gezogen, glaube ich. Es ist nie ganz herausgekommen, was passiert ist, weil die Eltern den Mantel des Schweigens darüber gedeckt haben. Es hieß nur, das Mädchen hätte einen Nervenzusammenbruch gehabt, daher der Ortswechsel. Meine Schwester Carol kannte die Frau, die früher immer die Gemeinderäume in Pennard geputzt hat, und die hat es ihr erzählt. Na ja, man weiß nie, was da wirklich vorgefallen ist. Aber der Junge ist anschließend auf Reisen gegangen und hat offenbar jede Menge Schulden auf die Kreditkarte seines Vaters gemacht.
Der alte Mathry war früher jedes Wochenende hier, aber nach der Geschichte ist er fast gar nicht mehr gekommen. Ich bin nur froh, dass meine eigenen Töchter so wohlgeraten sind – haben beide schon Kinder. Aber ich sollte wohl lieber meine Klappe halten, das ist alles eine halbe Ewigkeit her.«
»Ich kann dich übrigens hören, Gwen. Und du solltest tatsächlich keine Gerüchte in die Welt setzen, über die du gar nichts Genaues weißt«, ertönte Lens Stimme aus dem Wohnwagen. Dann kam er mit einem kleinen Plastiktablett wieder nach draußen, auf dem er ein Milchkännchen und eine Zuckerdose balancierte. Als er das Tablett absetzte, sah ich, dass es mit dem offiziellen Hochzeitsfoto von Lady Diana Spencer und Prince Charles bedruckt war.
»Ach, mir ist das eigentlich ganz egal. Wie gesagt, ich habe Paul seit damals nicht mehr gesehen. Aber seinen Eltern hätte ich gerne kurz Guten Tag gesagt, aber sie scheinen ja leider nicht da zu sein. Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Hätten Sie gern ein Stückchen Kuchen?«, fragte Gwen.
»Das ist sehr nett, aber ich muss jetzt leider los.«
»Oder wie wär’s mit einem Tässchen Tee? Echter Tetley-Tee, Len trinkt nichts anderes. Für ihn ist er der einzig wahre, nicht wahr, Len?«
»Absolut richtig, Gwen.«
»Ich muss wirklich weiter. Trotzdem vielen Dank für die Einladung.«
»Wie heißen Sie eigentlich? Dann sage ich den Mathrys, dass Sie hier waren.«
Ich nannte den ersten Namen, der mir in den Sinn kam. »Anne Nolan.«
»Wie die Nolan Sisters?«
»Ja, genau.«
»Möchten Sie vielleicht Ihre Telefonnummer hierlassen?«
»Nein, nicht nötig. Ich stehe im Telefonbuch. Also, danke noch mal!«
Ich musste schleunigst ins Büro zurück, bevor die dicke Paula misstrauisch wurde. Und ich musste überprüfen, ob Justin wirklich Paul Mathry war. Santos hatte ihn jedenfalls Paul genannt, und laut Gwen und Len besaßen die Mathrys immer noch ihren Campingbus. Ich wusste, dass ich bald noch einmal wiederkommen musste, um den Wohnwagen genauer unter die Lupe zu nehmen. Und den Schuppen. Aber es war sicher besser, wenn ich es im Schutz der Dunkelheit tat.
12.
I m Gegensatz zu der unterkühlten und reservierten Standesbeamtin von Cardiff war die Standesbeamtin von Vale of Glamorgan ein kugelrundes Energiebündel, das beschwingte Heiterkeit ausstrahlte.
Dan und ich waren direkt von der Arbeit in getrennten Autos gekommen und hatten uns gegenüber dem Standesamt in einem italienischen Café getroffen. Uns war nicht einmal Zeit für einen Kaffee geblieben, weil Dan durch eine Schießerei in Roath aufgehalten worden war. Aber die Standesbeamtin, die unsere Trauung durchführen würde, weil wir die Hochzeit in einem Hotel in der Nähe ausrichteten, sah milde über unsere leichte Verspätung hinweg.
Mit strahlendem Lächeln bat sie uns in ihr modernes, helles Büro in Barry, gratulierte uns zu unserer baldigen Hochzeit und fragte Dan, von dessen Uniform sie sehr beeindruckt war, was sie gegen die Halbstarken unternehmen könne, die immer wieder die Bushaltestelle vor ihrem Haus mit Graffiti verunzierten.
Dann wurde sie sachlich und erinnerte Dan und mich daran, dass bei unserer standesamtlichen Trauung keinerlei »religiöse Verweise«
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