Der Preis des Schweigens
erlaubt seien. Ansonsten vermittelte sie uns das Gefühl, mit uns zusammen eine ausgelassene Party zu planen.
Anhand eines Informationsblattes besprachen wir den Ablauf der Trauungszeremonie und die möglichen Formulierungen des Ehegelübdes. Dann schob sie uns mit einem Lächeln einen Stapel mit Beispielformulierungen und Gedichten zu, mit denen man die offiziellen Floskeln ein wenig auflockern konnte. Ihre »Alles halb so wild«-Einstellung färbte schon nach kurzer Zeit auf Dan und mich ab, und wir entspannten uns merklich.
Die haarsträubende Komik der vorgeschlagenen Sentimentalitäten, die hauptsächlich aus holprigen Versen über die Liebe bestanden, »die gibt, statt zu nehmen, und heilt, statt zu lähmen«, oder über das große Glück, »Seite an Seite in den ewigen Sonnenschein zu schreiten«, trieb mir Lachtränen in die Augen.
»Manche Paare verfassen natürlich ihre eigenen Verse«, beschwichtigte die Standesbeamtin und grinste, als könnte sie selbst nicht glauben, dass die Leute in aller Öffentlichkeit derart schwülstig ihre Seele entblößten. »Sie können jedes beliebige Gedicht vortragen, solange es keine religiösen Verweise enthält. « Den letzten Teil sprachen wir im Chor.
Ich verstand nicht, wie die Leute solchen zuckersüßen Blödsinn mit aufrichtiger Liebe und Zugehörigkeit verwechseln konnten, und wie man überhaupt auf die Idee kommen konnte, seine intimsten und privatesten Momente vor Leuten hinauszuposaunen, die nur darauf warteten, nach der Trauung endlich das Buffet stürmen zu können.
Die eine Hälfte von mir hätte am liebsten sofort die Flucht ergriffen, und die andere fragte sich, warum Dan und ich nicht einfach gemeinsam durchbrennen und unsere Eheschließung ohne inszenierte Zurschaustellung von Gefühlen und ohne gaffende Zuschauer durchziehen konnten. Ohnehin kam mir unsere Hochzeit mittlerweile wie ein großer Schwindel vor. Ich fragte mich, ob wir den Zieleinlauf in den Hafen der Ehe überhaupt erleben würden, jetzt, wo Justin am Streckenrand lauerte. Vor ein paar Tagen hatte er mir eine weitere grausame SMS geschrieben.
»Mach dich für deine Oster-Abschlagszahlung bereit«, hatte darin gestanden. »Video folgt.«
Ich war nicht überrascht, schließlich hatte ich gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war und dass die Bombe früher oder später platzen würde. Während ich lächelnd und plaudernd vor der Standesbeamtin saß, kam ich mir vor wie eine Frau, die trotz Unwetterwarnung stur die Picknickdecke im Garten ausbreitet und Tassen, Teller, Sandwiches und Cupcakes bereitstellt.
»Wir möchten am liebsten überhaupt keine Verse aufsagen«, lehnte ich höflich ab. »Wir mögen es schlicht und aufrichtig, mit so wenig Drumherum wie möglich.«
»Ach, da bin ich aber froh«, antwortete die Standesbeamtin strahlend, die darauf bestand, dass wir sie Claire nannten. »Ich mache das jetzt seit fünfzehn Jahren, und Sie können sich nicht vorstellen, was für einen Käse die Leute an ihrem großen Tag von sich geben. Als wollten sie sämtliche Hochzeiten, die sie je gesehen haben, noch übertrumpfen. Ich sage es nur ungern, aber die Sprüche werden jedes Jahr geschmackloser. Manchmal muss ich mich wirklich sehr zusammenreißen, um ernst zu bleiben. Für die Begleitmusik, die die Leute aussuchen, gilt dasselbe. Die meisten fahren auf diesen Titanic -Song ab, bei dem die Sängerin so schrecklich jault, oder auf ›I Will Always Love You‹ von Whitney Houston.«
»Nicht Ihr Ernst«, platzte ich entsetzt heraus, und sie lachte.
»O doch. Einmal hat die Mutter des Bräutigams dieses Titanic -Lied sogar auf der Harfe gespielt, es war furchtbar. Die Hitze im Saal war so groß, dass sich alle Saiten verstimmt haben, aber diese kleine Person mit ihrem grässlichen lila Hut, für den fast ein ganzes Huhn seine Federn lassen musste, hielt tapfer bis zum Ende durch. Machen Sie sich keine Sorgen: Wir kriegen es schon irgendwie hin, dass Ihre Trauung schlicht und trotzdem ergreifend wird. Sie beide sind wirklich ein reizendes, bodenständiges Paar, wenn ich das so sagen darf.«
Ich lächelte und registrierte erstaunt, dass Dan neben mir rot anlief. Die besorgniserregende Färbung seiner Wangen deutete auf eine Mischung aus Rührung und Verlegenheit hin.
»Ich muss nicht in aller Öffentlichkeit Gefühlsduseleien von mir geben, um meine Liebe zu beweisen«, sagte Dan zu mir, als wir gemeinsam zum Auto gingen, und drückte meine Hand. »Das geht niemanden etwas an. Ich sage
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