Der Preis des Schweigens
dir lieber unter vier Augen, was ich für dich empfinde. Wenn Gott und die Welt mitkriegen, was ich zu sagen habe, wirkt es irgendwie unaufrichtig und falsch.« In diesem Punkt waren wir ausnahmsweise einer Meinung.
»Ich habe übrigens eine kleine Überraschung für dich«, sagte er. »Nimm dir nichts vor dieses Wochenende.«
»Aber ich habe Bereitschaft, und du hast Nachtschicht«, antwortete ich und dachte daran, dass ich möglichst bald nach Aberthin zurückmusste, um mir den Wohnwagen der Mathrys genauer anzusehen.
»Beides falsch«, deutete er geheimnisvoll an und weigerte sich, mir mehr zu verraten.
Ich rollte mich auf den Rücken und streckte die Beine aus. Draußen war es bereits hell, aber im Schlafzimmer herrschte noch Dämmerlicht, und ich hatte keine Lust, die Decke zurückzuschlagen und aufzustehen. Dieser Moment zwischen Nacht und Tag, dieser kurze, behagliche, aus der Zeit gefallene Augenblick hatte mir schon immer gefallen, und ich zögerte ihn gerne so lange wie möglich hinaus, vor allem am Wochenende. Die Sorgen des Alltags schienen noch fern, und man musste noch nicht darüber nachdenken, sich fürs Büro fertigzumachen, die Milch hereinzuholen, darüber zu streiten, wer das Geschirr abspülte, eine Ladung Wäsche zu waschen, eine neue Glühbirne in die Lampe zu drehen oder die Kreditkartenrechnung zu zahlen.
Dan schien das Aufstehen weniger auszumachen als mir, es sei denn, er hatte anstrengende Nachtschichten oder Überstunden in den Knochen, was seit seiner Beförderung immer häufiger der Fall war. Nach solchen Nächten lagen wir morgens benommen nebeneinander, und keiner von uns wollte der Erste sein, der aufstand und damit die Nachtruhe für beendet erklärte. Wenn wir den Eindruck hatten, es nicht länger hinauszögern zu können, sagte einer von uns: »Okay, der Countdown läuft.«
Dann zählten wir rückwärts von zehn bis eins, langsam, aber kontinuierlich, mit dem Ziel, uns bei null beide gleichzeitig aus dem Bett zu schwingen. Aber natürlich blieb einer von uns in letzter Sekunde doch noch liegen, und dann ließ sich auch der andere zurück auf die Matratze plumpsen. Es folgten entrüstete Knuffe und Gekicher, bevor der Countdown erneut begann. Dans Tante hatte diesen Brauch in seiner Kindheit eingeführt, damit ihm das frühe Aufstehen an kalten, dunklen Wintermorgen während der Schulzeit nicht so schwerfiel. Später hatte er den Countdown mit in unsere Beziehung gebracht, und seither war er zu unserem gemeinsamen Morgenritual geworden. Ich selbst hatte ihn inzwischen auch auf andere Lebensbereiche übertragen und zählte immer dann von zehn rückwärts, wenn ich mich vor unangenehmen Aufgaben beruhigen und mir Mut machen wollte.
An diesem Morgen war Dan allerdings früher aufgestanden, und ich lag allein im Bett und hörte zu, wie er in der Küche den Wasserkessel aufsetzte und dabei leise vor sich hin pfiff. Es klang wie Highway to Hell von AC/DC. Im Wohnzimmer liefen die Nachrichten im Fernsehen. Als Nächstes hörte ich, wie Dan in der Küche eine Cornflakespackung aufriss und den Inhalt in eine Schüssel und vermutlich auch auf die halbe Arbeitsfläche rieseln ließ. Aus dem gedämpften Geklapper, das nun folgte, schloss ich, dass er gerade die Thermoskanne aus dem Küchenschrank holte. Vor dem Aufstehen hatte er irgendetwas von »Kaffee für die Fahrt« gemurmelt.
In zwei Stunden würden wir erneut zu einem süßen kleinen Hotel aus dem Cool Cymru -Führer aufbrechen. Der Aufenthalt dort war Dans Versuch, das ins Wasser gefallene Wochenende im Watch-House wiedergutzumachen. Ich wusste, dass er mich damit überraschen und verwöhnen wollte, aber ich war mir trotzdem nicht sicher, ob ich mich auf den heutigen Tag freute. Würde ich es überhaupt ertragen, mit Dan in einem intimen, romantischen Hotel zusammen zu sein, das Erinnerungen an ein anderes Hotel und eine andere Nacht wecken würde?
Aber ich konnte unmöglich absagen. Dan hatte heimlich seine Wochenendschicht mit einem Kollegen getauscht und Serian gebeten, für mich die Telefonbereitschaft zu übernehmen, damit unserem Überraschungsausflug nichts im Wege stand. Ich fing nun doch endlich mit dem Countdown an und erhob mich genau bei null aus dem Bett, um mich anzuziehen und dem Tag gegenüberzutreten.
Drei Stunden später saßen wir vor dem bildschönen georgianischen Stadthaus, in dem das Hotel untergebracht war, und blickten über das dunkle, sich kräuselnde Wasser des Hafens zu den pastellfarbenen
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