Der Preis des Verrats (German Edition)
durcharbeiten.“
Sie nickte und starrte auf die Kaffeekanne, die jetzt mehr als halb voll war. „Ich mache das nachher im Büro im Stall. Heute ist Freitag, also wird eine Menge los sein. Ich muss bald hinunter zum Hof.“
„Ich gehe mit dir.“
Caitlyn sah plötzlich besorgt aus. „Du musst erschöpft sein. Warum bleibst du nicht hier und schläfst einige Stunden und kommst dann nach?“
„Das ist keine schlechte Idee“, gab er seufzend zu. Er war viel zu aufgedreht gewesen, um auch nur eine Stunde zu schlafen, während er auf Cals Ankunft wartete. Vielmehr war Reid fast die ganze Nacht im Wohnzimmer geblieben und hatte sich mit der Vorstellung herumgeschlagen, wie jemand Caitlyn in den kompromittierendsten Situationen beobachtet hatte. Wenn es nicht ihr Täter war, dann hätte es jeder sein können – ein Handwerker, der nach dem Einbruch ins Haus gekommen war, selbst einer ihrer Angestellten. Über die Perversionen ansonsten normaler Männer ließ sich nicht streiten.
Eines war jedenfalls sicher. Wenn die verborgene Kamera nicht in direktem Zusammenhang mit dem Nachahmerfall stand, dann war es nur mehr ein weiterer traumatischer Vorfall, mit dem Caitlyn zurechtkommen musste.
„Einige davon werden wir wegwerfen müssen. Sie haben Schimmel angesetzt“, sagte Caitlyn zu dem Stallarbeiter, als sie die Ballen aus Heu und Alfalfa untersuchte, die zur Verfütterung in den Lagerraum gebracht worden waren.
„Ja, Ma’am.“
„Wir müssen auch das Süßfutterkonzentrat nachbestellen. Wir haben nur noch genug für eine Woche.“ Sie hakte weitere Artikel auf der Liste ab, die der Reiterhof benötigte, darunter auch einen speziellen Mineralsalzleckstein. Den hatte der Tierarzt zur Nahrungsergänzung empfohlen. Vorräte und Nachschub fielen normalerweise in Mannys Verantwortungsbereich, aber sie wollte nicht warten, bis er zurückkam.
„Wollen Sie diesmal das Schrot mit Melasse gemischt?“
„Ja. Ich danke Ihnen, Rus.“ Caitlyn schaute über die verbliebenen Heuballen, wies dann auf einige weitere verschimmelteExemplare. Er war kurz nach zehn Uhr und im Stall herrschte morgendliche Betriebsamkeit. Kinder und Erwachsene hatten sich um die Pferdeboxen herum versammelt oder standen im Unterrichtsbereich, um praktische Anleitungen zu bekommen. Caitlyn hatte bereits bei den Teilnehmeranmeldungen geholfen, hatte Lunchpakete bestellt, für die Besucher, die über Mittag blieben, und die Hufe eines Vollblüters verarztet, der eine Pilzinfektion im Frühstadium zu haben schien.
Die Aufgaben mussten erledigt werden und boten Caitlyn eine willkommene Ablenkung. So konnte sie sich auf etwas anderes neben ihrer augenblicklichen Lage konzentrieren. Der Fund der Videokamera hatte sie verstört, und sie wollte nicht darüber nachdenken, wer es war, der sie beobachtet hatte, oder wie lange das schon so ging. Fahrig und angespannt fand sich Caitlyn vor der letzten Box wieder. Sie beherbergte eines der beiden Pferde, die nicht zum Therapieprogramm gehörten. Das rotbraune Vollblut mit dem weißen Gesicht hieß Sampson, es war ein geschmeidiges, kraftvolles Tier, ideal für Rennen. Sobald Caitlyn den geschlossenen Raum betrat, wieherte das Pferd und stampfte zur Begrüßung mit den Hufen. Eine Zeit lang streichelte sie es. Sie brauchte eine Auszeit, merkte sie, als sie mit der Hand über die seidige Mähne des Pferdes fuhr.
Der Wald in der Nähe des Hofes rief nach ihr.
Ein Stallarbeiter half ihr, das Pferd zu satteln und aufzuzäumen. Caitlyn achtete nicht weiter auf den besorgten Blick des Mannes und seine höfliche Andeutung, dass ein solch temperamentvolles Pferd mit ihrer verletzten Hand zu reiten vielleicht keine gute Idee wäre. Binnen weniger Augenblicke waren sie und Sampson fort von Stall und Reitplatz und begannen mit einem zügigen Trab den Reitpfad entlang. Kurz darauf lenkte Caitlyn das Pferd geschickt um eine Gruppe anderer Reiter herum und ließ deren fröhliche Plauderei schnell hinter sich. Der Anfängerpfad verlief über freies Feld, an eingezäunten Koppeln und Ackerland vorbei, aber die erfahreneren Reiter nahmenoft den unebenen, viel wilderen und malerischeren Weg durch den Wald.
An der Abzweigung, an der sich die zwei Wege teilten, ritt Caitlyn in den Wald hinein, in Richtung des Schießplatzes, wo sie vor nicht allzu langer Zeit mit Reid gewesen war. Sie verlängerte Sampsons Schritt. Sie wollte nichts weiter, als sich im Takt der Hufe auf der harten Erde zu verlieren und in den leuchtenden
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