Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
normalerweise Blumen schicken würdest. Eine Frau, etwa in unserem Alter. Fang mit einem schönen, großen Buch an.«
»Was heißt groß für dich?«, hakte Anna nach. »Groß wie ›ernsthaft‹? Oder groß im Sinne der Zeitspanne, die der Roman umfasst?«
»Nein. Nur ein großes Buch. Groß wie dick.«
»Hier.« Anna reichte ihr wieder Betty und ihre Schwestern . »Ich kenne keine Frau, die dieses Buch nicht gern lesen würde. Es geht um Schwestern, eine tränenreiche Todesszene, Heiratsanträge …«
Das Buch war zwar nicht so dick, wie Michelle gehofft hatte, doch es war immerhin ein Anfang. Ein hübsches, dickes Buchbouquet. »Okay. Gut. Nächster Roman. Etwas dünner, kein aufregender Lesestoff. Das Thema soll mich aus Longhampton wegbringen.«
»Ähm … Anne auf Green Gables ? Das entführt dich in die ländliche Ruhe der Prince Edward Islands in Kanada. Dort ist es um diese Jahreszeit herum wunderbar kuschelig.«
»Okay.« Michelle nahm das Buch entgegen, das Anna ihr reichte, und runzelte die Stirn, als ihr Blick auf den Schutzumschlag fiel: Dort war ein rothaariges Mädchen mit einer Schürze abgebildet, das neben einem Apfelbaum stand und lachte. »Ist das etwa auch ein Kinderbuch?«
»Ja, aber es ist so toll, dass man es auch als Erwachsener noch gern liest. Es wärmt einem das Herz. Darin geht es um ein Waisenmädchen, das von einem Geschwisterpaar adoptiert wird, das eigentlich einen Jungen haben wollte. Anne schafft es, das mürrische Wesen der Geschwister mit ihrer Lebenslust, ihrem Wissensdurst und den vielen Sommersprossen auf der Nase aufzuweichen. Nachdem ich das Buch zum ersten Mal gelesen hatte, tat ich so, als hieße ich Anne mit einem ›e‹ hinten, weil das so vornehm klang.« Anna hielt inne und betrachtete Michelle mit zusammengekniffenen Augen. »Bist du sicher , dass du Anne auf Green Gables nie gelesen hast?«
»Ja«, erwiderte Michelle. »Ich habe die meiste Zeit meiner Kindheit damit verbracht, Owen aus irgendwelchen Schwierigkeiten zu befreien und mir Make-up-Tipps aus der Just Seventeen abzuschauen.« Sie legte das Buch auf den ersten Roman und streckte die andere Hand aus. »Noch ein Buch. Diesmal aber bitte einen Roman für Erwachsene.«
Anna schaute sich um. Die Kassentheke war mit Taschenbüchern übersät, von denen, dem Cover nach zu urteilen, die meisten Kinder- und Jugendbücher waren. Annas Hand griff zuerst nach einem Roman von Roald Dahl, dann nach noch einem, bevor sie ihre Hand nach einem warnenden Blick von Michelle wieder zurückzog. Schließlich ging sie zur Unterhaltungsecke hinüber und nahm Cold Comfort Farm von Stella Gibbons aus dem Regal.
»Hier«, erklärte sie. »Den Roman habe ich Becca zu Weihnachten geschenkt, aber sie hat ihn neben ihrem Bett liegen gelassen. Ich hatte ihn extra ausgesucht, weil sie noch eine Klausur über Sturmhöhe von Emily Brontë vor sich hat und dieser Roman eine witzige Parodie auf diese Art von grüblerischen Tölpeln ist. Die Heldin hier ist eine gescheite junge herrische Waise, die auf ein paar Cousins und Cousinen trifft und versucht, sie zu verbessern, ob sie es wollen oder nicht. Ich habe es zum ersten Mal mit dreizehn gelesen und lese es auch jetzt immer noch einmal, wenn ich ein wenig Aufheiterung gebrauchen kann.«
»Aufheiterung? Bei all diesen Waisenkindern? Du hast doch wohl als Kind nicht nur Romane über zerrüttete Familien gelesen, oder?«
»Natürlich nicht!«, protestierte Anna, hielt dann aber inne. »Obwohl Der geheime Garten von einem Waisenkind handelt ebenso wie Ballettschuhe und James und der Riesenpfirsich , mehr oder weniger auch Pippi Langstrumpf und …« Sie verzog das Gesicht, als sei ihr diese Gemeinsamkeit aller Bücher erst jetzt aufgefallen. »Wenn die Kinder darin nicht gerade durch irgendeine Krankheit gelähmt waren, fehlten ihnen Mutter oder Vater – oder beide.«
»Und du meinst nicht, dass das Kinder irgendwie verängstigen könnte?«
»Ich würde mal sagen, der Großteil der Kinder- und Jugendbücher ist ziemlich beängstigend«, erwiderte Anna. »All diese verwaisten Kinder, die auf ihre Weise mit den Problemen ihrer Welt kämpfen …« Ihre Stimme verebbte.
»Was ist los?«, fragte Michelle.
»Ich … Ich frage mich nur gerade, ob das vielleicht der Grund ist, warum Lily die Bücher nicht gelesen hat, die ich ihr geschenkt habe. Denkt sie jetzt, ich wollte damit sagen, dass sie keine traditionelle Familie besitzen? Meinst du, sie könnte das denken? Oder dass Chloe ihr
Weitere Kostenlose Bücher