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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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mich allein gelassen.«
    »Nein. Niemals. Ich bin nur gestorben, weiter nichts, weil ich nicht anders konnte. Meine Zeit war gekommen. Ich konnte Tommys Tod nicht verschmerzen, und das hast du auch nicht von mir erwartet. Aber du irrst dich …«
    »Ich irre mich?«
    »Du bist nie allein gewesen.«
    »Jetzt, wo ich auch bald sterbe, fühle ich mich aber so.«
    »Wirklich?« Cassie massierte ihm die Schultern, knetete ihm die Muskeln. Sie wirkte älter, gebrochen, so wie von dem Moment an, als sie die Nachricht über ihr einziges Kind bekamen. Sie hatte tagelang dagesessen und sein Bild angestarrt und an anderen Tagen wieder wie besessen im Internet nach Informationen über weitere Reporter und Kameraleute im Irak gesucht. Damals glaubte er, dass sie hoffte, sie würden alle sterben, damit der Tod ihres eigenen Kindes nicht so einmalig und nicht ganz so schrecklich war. Er hatte das Gefühl, in diesem Moment etwas Ähnliches zu tun, nur dass er nach etwas suchte, das ihn auf die Spur von Jennifer brachte. Er beugte sich zum Bildschirm vor und klickte einen neuen Eintrag an.
    »Da schau mal einer an …«, sagte er leise in ungläubigem Staunen. Er hatte den Namen seiner eigenen kleinen Universitätsstadt in die Datenbank eingegeben und eine Liste mit siebzehn verurteilten Sexualtätern bekommen, die in einem Radius von wenigen Kilometern rund um die Uni, die Highschool und sämtliche Grundschulen wohnten.
    »Wenn ich eine Ratte in ein Labyrinth gesetzt und ihr das Mittel injiziert hatte …«, fing er an. Cassie war dicht hinter ihm, er spürte ihre Nähe und sah ihr Spiegelbild auf dem Bildschirm, doch er hatte Angst, sich umzudrehen, weil er fürchtete, das würde ihren Geist verjagen, und er hatte sie gerne bei sich. Er hielt inne und lachte leise. Ein geflügeltes Wort zwischen ihnen. »… wollte ich immer schon die Ratte fragen …«
    »… was hast du empfunden? Was hast du gedacht? Wieso hast du so und nicht anders gehandelt?«, ergänzte Cassie den Satz in diesem melodischen Tonfall, den er aus besseren Tagen so gut kannte. Sie klatschte ihm geräuschvoll auf den Rücken, um das Ende der Massage anzuzeigen.
    »Also«, hörte er sie sagen. »Geh und frag eine Ratte.«

22
    A drian brauchte nur eine halbe Stunde zu warten, bis der Mann, den er aus der Liste von siebzehn registrierten Sexualstraftätern ausgewählt hatte, aus der Haustür kam und in zügigen Schritten zu seinem Wagen lief. Es war noch früh am Tag, und der Mann trug eine blaue Strickjacke, dazu eine billige rote Krawatte.
    Adrian stand mit seinem Auto auf der anderen Straßenseite und sah zu, wie der Mann in ein kleines, beigefarbenes japanisches Auto stieg. Das einstöckige Haus im Ranchstil, in dem der Mann laut Adrians Computerausdruck mit seiner Mutter lebte, war von der Straße zurückgesetzt und nicht nur frisch gestrichen, sondern auch sonst penibel gepflegt. Rings um die Haustür standen mehrere Reihen Blumenkübel aus rotem Klinker, in denen die ersten blauen und gelben Frühlingsblumen blühten.
    Der Mann – Mark Wolfe – hatte eine abgewetzte schwarze Aktentasche dabei und machte den Eindruck eines graumäusigen Büroangestellten. Man hätte ihn sich ebenso gut als Gebrauchtwagenhändler oder Postsortierer vorstellen können. Er war noch nicht ganz im mittleren Alter, nicht besonders groß, nicht besonders kräftig, mit dunkelblondem Haar und schwarzrandiger Brille. Für Adrian unterschied er sich nicht im Geringsten von irgendjemand anderem, der am Morgen zu einer langweiligen, aber geregelten Arbeit mit einer bescheidenen, doch verlässlichen Bezahlung eilt. Doch der Mann gehörte einer Welt an, die Adrian nicht kannte. Er schien irgendwie
abgesondert
. Adrian zögerte, weil er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte.
    »Nein, mach schnell! Häng dich dem Mistkerl an die Fersen«, drängte Brian. »Du musst sehen, wo er zur Arbeit geht. Du musst irgendwie rauskriegen, mit
wem
du es zu tun hast!«
    Adrian blickte in den Rückspiegel und sah seinen toten Bruder im Fond. Es war der Anwalt Brian im mittleren Alter, der sich vorbeugte und mit den Händen wedelte, als könne er Adrian antreiben, in Aktion zu treten und loszufahren. Brians langes Haar wirkte zerzaust und ungekämmt, als hätte er die Nacht am Schreibtisch durchgearbeitet. Seine Brooks-Brothers-Krawatte aus Seidenrips hing ihm lose um den Hals, seine Stimme klang ungeduldig und gereizt.
    Adrian legte augenblicklich den Gang ein. Er sah, wie sich sein Bruder

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