Der Profi
noch nichts. Ja, alles klar!«
Er legte auf und verstaute das Handy wieder in der Tasche. Da begann ich zu lachen.
»Weißt du eigentlich, dass dein Boss vorhin geprüft hat, ob mein Handy eingeschaltet ist?«
Der Riese sprang auf und zielte mit meiner eigenen Waffe auf mich. Dann tat er, als würde er auf mich schie ßen. Bamm . Ich fand es nicht besonders witzig, durch meine eigenen Kugeln sterben zu müssen.
»Fresse! Dir bleiben noch zehn Minuten.«
»Das hat dein Boss nur gemacht, damit er einen Sündenbock hat. Und der bist du! Falls etwas schieftläuft, könnte die Datenbank von Telefónica meine letzten Bewegungen in Sekundenschnelle aufspüren, indem sie den geografischen Standort meines Handys einkreist! Du bist doch Polizist, oder? So etwas müsstest du eigentlich wissen. Rasputin hat dich gerade angerufen, ich wette, er hat es von einer Telefonzelle aus getan … Ihn kann niemand belangen. Aber du wirst direkt mit dem Tatort in Verbindung gebracht: nämlich mit dem Ort, von dem Telefónica später bestätigen wird, dass ich mich dort aufgehalten habe. Und ich schwör dir: Dein Boss hat sein Handy den ganzen Abend über ausgeschaltet. Pech für dich: Du sitzt in der Scheiße!«
Da riss der Riese die Augen sperrangelweit auf. An schließend warf er einen Blick auf das Leuchtsignal auf seinem Handy. Eine Sekunde später stand er, einen Schritt vom Abgrund entfernt, vor mir. Er hatte mir den Rücken zugewandt. Was die Existenz von Wundern angeht, bin ich bis heute skeptisch. Aber irgendwann werde ich wohl einmal eine Kirche aufsuchen müssen, um mich für jenen Handyanruf zu bedanken! Es vergingen mehrere Sekunden, bis der Riese sich seines Fehlers bewusst wurde. Doch da war ich bereits, einer Sprungfeder gleich, samt Stuhl und mit meinen auf dem Rücken gefesselten Armen aufgesprungen. Ohne lange über die Konsequenzen nachzudenken, schmiss ich mich gegen seine Hüften. Ich traf ihn an einer Stelle, die unterhalb des Schwerpunkts seines Körpers lag, er geriet aus dem Gleichgewicht, wir stürzten beide ins Leere …
Beim Klang des Aufpralls seines Schädels auf dem harten Zementfußboden im unteren Stockwerk wusste ich sofort, dass ebendieser Schädel wie eine Melone aufgeplatzt war. Ich stand kurz davor, vor Freude loszuheulen. Hätte er den Sturz überlebt, säße ich heute nicht hier, um die Ereignisse von damals aufzuschreiben. Ich selbst hatte mir eine Schulter ausgerenkt, und ich kann Ihnen versichern: Das sind Höllenschmerzen! Der Stuhl war nicht besonders stabil gewesen. Er war zerbrochen. Ich selbst lag auf dem Boden hingestreckt, inmitten einer riesigen Lache aus Blut und Gehirnmasse, die meinem Entführer und gescheiterten Henker aus dem Schädel quoll. Endlich gelang es mir, mich von den Resten des Stuhls zu befreien. Meine Schulter stritt mit meinem Gesicht um die Wette, wer mehr schmerzte. Dann erfasste mich eine Woge der Übelkeit. Ich hätte mich am liebsten erneut übergeben, aber Rasputins Bild in meinem Kopf und die Nähe des Todes spornten mich an aufzustehen.
Ich atmete tief durch und versuchte dann mich meiner Fesseln zu entledigen. Aber sie widerstanden jedem Versuch. Doch gefesselt und mit Handschellen auf dem Rücken, konnte ich nirgendwohin gehen. Schließlich drehte ich mich unter größter Anstrengung um, bis ich auf dem Rücken lag. Es würde kein leichtes Unterfangen werden. Doch ausgerechnet meine ausgerenkte Schulter kam mir zu Hilfe: Ich zog die Knie bis an die Brust und ließ dann unter größter Anstrengung meine Handgelenke unter meinen Pobacken und an den Fußknöcheln entlanggleiten. Die Schmerzen waren schier unerträglich, und ich stand zweimal kurz davor zu kapitulieren – aber ein paar Minuten später hatte ich es geschafft: Ich hatte mich aus meinen Fesseln befreit! Ich lachte auf wie ein Wahnsinniger. Ich lebte! Später ging mein Lachen in Weinen über, in Wutgeschrei, in ein Keuchen der Erschöpfung, in ein Gefühl absoluter Befreiung.
Ich lebte!
Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich einen Polizisten getötet hatte.
Ich holte mir meine Waffe zurück, überprüfte das Magazin und steckte sie ins Halfter. Als Erstes musste ich herausfinden, wo ich eigentlich war. Ich öffnete vorsichtig die Tür zur Straße und vergewisserte mich, dass niemand in der Umgebung umherschlich. Vor mir lag eine verlassene und finstere Allee, hier und da von einer Laterne flankiert, die etwas Licht ins Dunkel brachte. Der Regen war schwächer geworden, es nieselte nur
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