Der Profi
noch. Ich näherte mich einer Straßenecke, um zu sehen, was auf dem Straßenschild stand. Ohne viel Zeit zu verlieren, kehrte ich wieder in das Loft zurück. Den Schmerzen in meinem Gesicht und an meinem Hals nach zu urteilen musste ich ein jämmerliches Bild abgeben: Ich war fürchterlich zugerichtet worden, meine Oberlippe war aufgeplatzt, die Nase zertrümmert. Zahlreiche Blutergüsse überzogen meinen Körper. Meine Schulter brannte heftig. Die Wunden konnten nur geheilt werden, indem ich dem Schuldigen dafür zwei Kugeln in den Kopf jagte.
Als ich mich wieder etwas erholt hatte, rief ich Cruz an. Mir blieb keine andere Wahl. Meine Fingerabdrücke waren über das gesamte Loft verteilt, genug, dass Rasputin eine riesige Menge Beweise gegen mich anhäufen konnte. Ich brauchte also unbedingt Cruz’ Hilfe. Ihr Telefon war abgeschaltet oder hatte gerade keinen Empfang. Daraufhin wählte ich direkt die Nummer der UDYCO . Man informierte mich, dass die Hilfskommissarin nicht mehr im Kommissariat war. Über ihren aktuellen Aufenthaltsort durfte man mir keine Auskunft geben. Die Polizei – so hilfreich wie eh und je! Vor allem wenn man sie wirklich einmal brauchte.
»Hören Sie, Señorita«, sagte ich unter großen Schmerzen. »Es geht um Leben und Tod! Das ist kein Witz. Die Angelegenheit kann nicht bis morgen warten. Also setzen Sie sich umgehend mit ihr in Verbindung und sagen Sie ihr, Lucca Corsini habe angerufen. Jemand hat versucht, mich zu ermorden. Sie soll sich direkt auf meinem Handy melden … Ja, ja, sie hat meine Nummer. Beeilen Sie sich!«
Ich hoffte, dass meine Stimme am Telefon verzweifelt genug geklungen hatte. Denn genau das war ich in diesem Moment. Dann legte ich auf und rief Gagarin an. Er dinierte gerade mit ein paar Kameraden. Um mich verständlich zu machen, musste ich gegen den Lautstärkepegel im Hintergrund anschreien.
»Gagarin, ich bin’s, Corsini!«
» Pizda!«, rief er freudig erregt. Er hörte sich an, als hätte er wie ein Kosake gebechert. »Wie geht’s meinem italienischen Freund?«
»Schlecht, Gagarin, sehr schlecht! Du nimmst jetzt deinen Wagen und kommst mit ein paar deiner Kumpels zu folgender Adresse … Los, schreib auf …«
»Was ist denn passiert?«
»Frag nicht lange. Wir haben ein Problem. Ach Gagarin, und noch was: Bring am besten gleich zwei Autos mit. Ich brauche eins für mich.«
Dann setzte ich mich auf den kalten Steinboden des Lofts und hoffte, dass die Verstärkung bald anrückte. Eigentlich wäre es intelligenter gewesen abzuhauen für den Fall, dass Rasputin wieder zurückkehrte. Aber ich hatte einfach keine Kraft mehr, und mit meinem verunstalteten Gesicht würde ich überall nur Aufmerksamkeit auf mich lenken. Außerdem hätte ich vorher sämtliche Spuren meiner Abdrücke beseitigen müssen.
Also lehnte ich mich an die Wand und fischte die letzte Zigarette aus meinem Sakko. Sie schmeckte himmlisch! Plötzlich klingelte mein Handy: Es war Cruz Navarro.
»Corsini, was ist los?«
Ihre Stimme hörte sich schroff an, irgendwie hektisch.
»Schreib dir die folgende Adresse auf … Ich bin entführt worden, und um ein Haar hätte man mich ins Jenseits befördert. Komm so schnell du kannst!«
»Kannst du mir nicht wenigstens noch ein bisschen mehr sagen, Corsini? Ich bin total ausgepowert, außerdem treffe ich mich um Mitternacht normalerweise nicht mit Mafiosi, und schon gar nicht, ohne zu wissen, worum es überhaupt geht.«
»Ich habe es dir doch schon gesagt: Jemand hat versucht mich umzubringen!«
»Und …?«
»Stell dich nicht blöder, als du bist, Cruz, und komm, so schnell du kannst!«
Ich nutzte die Wartezeit, um in der Küche meine Wunden zu reinigen. Ich füllte das Spülbecken randvoll mit Wasser und tauchte das Gesicht unter, bis das kühle Nass meine Lebensgeister wieder ein wenig in Gang brachte. Dann trank ich ausgiebig vom Wasserhahn. Die Ersten, die eintrafen, waren meine russischen Kameraden, Gagarin samt Handlangern. Der vor wie gewohnt leicht schmuddelig und verschwitzt und seine Leibwächter in ihren Trainingsanzügen und mit ihren auffälligen Golduhren. Gagarin hatte, wie es schien, tatsächlich einen über den Durst getrunken.
Natürlich waren die Russen nicht die diskreteste Putzkolonne, die man sich wünschen konnte, aber ich musste mich nun einmal mit ihnen begnügen. Gagarin näherte sich mir und setzte ohne großen Erfolg sein besorgtestes Gesicht auf, was ihm rundum misslang. Mir schlug eine gewaltige Wodkafahne
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