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Der Profi

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Titel: Der Profi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fernando S. Llobera
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fest.

Seit ich acht Jahre alt bin, gibt es Menschen, die mir nach dem Leben trachten. Glauben Sie jetzt bitte nicht, ich würde Ihnen das aus Selbstmitleid erzählen: Es ist schlicht und einfach die Wahrheit! In Neapel mussten meine Eltern dran glauben, und in der Bronx wurde ich mehrmals zum Opfer von Schusswechseln mit den Blauuniformierten der New York’s Finest . In Las Vegas lynchten sie meinen Schwiegervater, und damals in Bogotá fielen, als Pablo Escobar noch das Sagen hatte, mehrere Messerstecher in einem Bordell über mich her. Ich bekam in einer Discothek in Moskau eine Kugel ab und eine weitere im Jachthafen von Valencia. Die Liste ist lang, und weil ich Sie nicht länger langweilen möchte, belassen wir es erst mal dabei …
    Die Welt ist ein gefährlicher Ort, egal, ob man sich gerade im unbezähmbaren Afrika, in den fundamentalis tischen USA , im kolonialistischen Südamerika oder in unserem altbackenen Europa aufhält. Es macht keinen großen Unterschied: Überall lauert jemand, der unsereins ins Jenseits befördern möchte!
    Und obwohl man mich in Italien zum ersten Mal zu ermorden versuchte, kann ich bei der Rückkehr ins Land meiner Väter nur schwer ein Gefühl der Freude unterdrücken. Jedes Mal, wenn ich in das Dorf komme, in dem ich das Licht der Welt erblickt habe, erkenne ich in jedem einfachen Landarbeiter meinen Vater und in jeder schwarz gekleideten Frau, die sich in der Küche zu schaffen macht, meine Mutter wieder. Italien bringt mich zurück auf den Boden der Tatsachen, regt mich zum Nachdenken an und auch dazu, Abstand zu nehmen, damit ich trotz lauter Bäume auch weiterhin den Wald sehe. Die Gerüche Italiens und der Klang meiner Muttersprache versetzen mich in die Vergangenheit zurück. Dann erinnere ich mich zum Beispiel an die Stimme von Renato Carosone, wie er Tu vò fa l’americano sang, während mein Vater einen Pfirsich schälte, den er anschließend in ein randvoll mit Wein gefülltes Glas tauchte. Oder an die einfache Musik von Pino Daniele, seine Folklore, eine Mischung aus Tarantella und Blues, die alte und wohlige Stimmungen in mir weckt.
    Oder ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mich rief: »Lucca, a tavola!« Oder wenn sie zu besonderen Anlässen in Zitrone eingelegten Kaninchenbraten machte oder Babà , jene Süßspeise aus Mehl und Rum, die es zum Nachtisch gab und die mein Vater als Schmuggelware nach Hause brachte.
    Später zog es mich in die Bronx, dort entdeckte ich andere, neue Gerüche und natürlich auch die Frauen, herrliche Exemplare, opulent und verspielt: Amerikanerinnen eben! Zío Enzo beschwor mich stets, mir eine Italienerin zur Freundin zu nehmen, aber ich wurde nur schwach, wenn mir eine Frau in breitem Bronx-Akzent auf Ameri kanisch ins Ohr stöhnte. Am Ende heiratete ich eine Italo-Amerikanerin, die mich beinahe in den Ruin getrieben hätte.
    Jemand hat mich mal gefragt, warum ich eigentlich das tue, was ich tue. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht! Es ist eben meine Welt, und ich habe darin meine Rolle zu spielen. Ich werde vermutlich jung sterben (ich halte mich schon lange nicht mehr für unbesiegbar), aber inzwischen ist es längst zu spät, noch einmal die Richtung zu wechseln. Und wenn an meiner Tür einmal jene Handknöchel anklopfen, die den Ritter und seine Freunde in Das siebente Siegel unterbrechen, dieser letzte und endgültige Schachzug, weiß ich, dass ich es bereuen werde und dass es mir nicht leichtfallen wird, für immer zu gehen. Und dennoch: Obwohl ich all das weiß, kann ich’s nicht lassen …

Diesmal hatte ich keine andere Wahl. Denn um Boris Iwanowitschs (sowieso kaum existierendes) Mitgefühl zu buhlen in der Absicht, dass er mich im letzten Moment von meinem Auftrag befreite, hätte wenig genützt. Also sah ich mich gezwungen, seinen Anweisungen zu folgen und mich mit dem Mann in Verbindung zu setzen, der sich in der Zwischenzeit zum mächtigsten vor Madrids entwickelt hatte: Michail Gagarin. Er hatte den Posten meines ehemaligen Chefs Viktor Stonowitsch eingenommen. Gagarin erwartete mich in seiner Villa außerhalb von Madrid.
    Also mietete ich unter falschem Namen einen Wagen und fuhr auf der Ringautobahn M 40 bis zur Ausfahrt Boadilla del Monte. Auf halbem Weg zur Ortschaft Brunete befand sich das Einfahrtstor zu dem Anwesen, das von zwei mächtigen Granitsäulen flankiert war. Am Gitter hing ein Schild mit der Aufschrift: VORSICHT BISSIGER HUND ! Mein trainiertes Expertenauge schätzte die Ausdehnung des

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