Der Prometheus-Verrat
oder?«
»Der General hat den Guandong Sektor der Volksbefreiungsarmee unter sich«, informierte der Emissär.
»Nun, mir scheint, die Geschäfte laufen hier nicht schlecht.«
Vom Fahrer mit einem Brummlaut zurechtgewiesen, verstummte der Emissär und drehte sich wieder um.
Der Daimler kroch durch den unglaublich dichten Verkehr und über einen Lärmteppich aus schrillen Schreien und plärrenden Hupen. Auf Höhe des Hotels Shangri-La ging es plötzlich nicht mehr weiter. Der Chauffeur schaltete
eine Sirene ein, setzte ein rotes Blinklicht aufs Autodach, schwenkte auf den Gehweg ein und verscheuchte die Passanten mit rüden, durch einen Lautsprecher verstärkten Belllauten. Hinter dem Stau kehrte er wieder auf die Straße zurück.
Schließlich erreichten sie die bewachte Einfahrt zu einem weitläufigen Industriegebiet, das direkt vom Militär kontrolliert zu werden schien. Wahrscheinlich, so vermutete Bryson, hatte General Tsai hier sein Hau ptquartier eingerichtet. Ein Soldat mit einem Klemmbrett in der Hand gab dem Emissär ein knappes, zackiges Zeichen, worauf dieser sich beeilte auszusteigen. Der Wagen fuhr weiter, an schäbigen Wohnbaracken vorbei und auf einen Komplex zu, der hauptsächlich aus Lagerhäusern zu bestehen schien.
Bryson merkte auf. Die Fahrt ging offenbar nicht zur Residenz des Generals. Aber wohin brachte man ihn dann?
» Neng bu neng gaosong wo, ni song wo qu nar? «, fragte er mit künstlich starkem britischen Akzent und in unbeholfener Syntax. Würden Sie mir sagen, wohin Sie mich hinbringen?
Der Fahrer antwortete nicht.
Bryson hob die Stimme und wechselte in ein fließendes, aktzentfreies Chinesisch über. »Hier wohnt der General doch nicht, siji !«
»Der General empfängt nicht in seiner Wohnung. Er hält sich bedeckt.« Der Fahrer sprach in einem unhöflichen Ton und verzichtete auf die Anrede shifu – Meister –, die dem Fahrgast gegenüber fällig gewesen wäre. Bryson fing an, sich Sorgen zu machen.
»General Tsai ist bekannt dafür, dass er es sich sehr gut gehen lässt und viel Staat macht. Ich fordere Sie auf, kehrt zu machen.«
»Der General meint, dass wahre Macht im Geheimen ausgeübt wird. Er zieht es vor, in Deckung zu bleiben.« Sie hatten vor einem großen Lager Halt gemacht, neben einer Reihe von Jeeps und Kastenwagen in militärischen Tarnfarben. Bei laufendem Motor und ohne sich umzudrehen, sagte der Fahrer: »Kennen Sie die Geschichte des großen Kaisers Qian
Xing aus dem 18. Jahrhundert? Er glaubte, dass ein guter Herrscher Tuchfühlung zu seinem Volk halten muss, dass das Volk davon aber nichts merken darf. Also reiste er als Gemeiner verkleidet durchs Land.«
Bryson ging ein Licht auf. Er beugte sich nach vorn und schaute dem Fahrer ins Gesicht. Verdammt , fluchte er im Stillen. Der Fahrer war General Tsai!
Plötzlich war der Daimler von Soldaten umstellt. Der General brüllte Befehle auf Toishan, dem Dialekt seiner Herkunftsregion. Die Tür wurde aufgerissen und Bryson aus dem Fond gezerrt. Zwei Soldaten nahmen ihn in ihre Mitte und hielten ihn bei den Armen gepackt.
»Zhanzhu! Stillgestanden!«, brüllte einer der beiden und bedrohte ihn mit seiner Pistole. » Shou fang xia! Bie dong! « Hände unten lassen!
Das Fenster auf der Fahrerseite wurde herabgelassen. Der General grinste. »Das Gespräch mit Ihnen war sehr interessant, Mr. Bryson. Je länger wir miteinander ge plaudert haben, desto besser wurde Ihr Chinesisch. Da fragt man sich doch, was Sie sonst noch alles verbergen. Sei’s drum, ich schlage vor, Sie ergeben sich jetzt mannhaft in Ihr Schicksal.«
Himmel! Man wusste, wer er war! Woher? Seit wann?
Ihm schwirrte der Kopf. Wer hatte seine wahre Identität verraten können? Oder konkreter gefragt: Wer kannte seine Rolle als Hesketh-Haywood? Wer wusste von seiner Reise nach Shenzhen? Juri Tarnapolski konnte es nicht gewesen sein. Wer dann?
Gewiss waren Fotos von ihm gefaxt, Verbindungen hergestellt worden. Aber das alles ergab keinen Sinn. In der unmittelbaren Umgebung des Generals musste jemand sein, der ihn, Bryson, erkannt und sein Alias durchschaut hatte. Irgendjemand, der ihn gut kannte. Eine andere Erklärung gab es nicht.
Der Daimler fuhr davon und spie Bryson eine Wolke Abgas in Gesicht. Er wurde auf den Eingang des Lagerhauses zu gestoßen. Eine an seinem Hinterkopf aufgesetzte Pistole sorgte für den nötigen Nachdruck. Er überschlug seine Möglichkeiten. Es stand sehr schlecht um ihn. Er würde seine
Eskorte für einen Moment
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