Der Prometheus-Verrat
getroffen zu werden. Schreiend langte der zweite Posten nach seiner Pistole, lag aber, noch ehe sie gezogen war, mit zerschossenem Kopf am Boden.
Plötzlich frei, warf sich Bryson auf den Bauch und blickte auf. Auf einer Metallbrücke in rund sechs Metern Höhe trat ein groß gewachsener, stämmiger Mann in dunkelblauem Geschäftsanzu g hinter einem Beton pfeiler hervor. In der Hand hielt er eine .457er Magnum mit aufgeschraubtem Schalldämpfer, aus dessen Mündung sich eine Cordit-Fahne kringelte. Noch war das Gesicht des Mannes von Schatten umhüllt, doch Bryson erkannte die Umrisse der Gestalt sofort.
Der Mann warf die Magnum im hohen Bogen auf Bryson zu. »Fang!«, sa gte er.
Trotz seiner großen Verblüffung, gelang es Bryson, die Waffe aufzuschnappen.
»Schön zu sehen, dass du noch nicht ganz eingerostet bist«, meinte Ted Waller und stieg die steilen Treppenstufen herunter. Unten angekommen, bedachte er Bryson mit einem scheinbar amüsierten Blick und sagte kurzatmig: »Der schwere Teil steht uns noch bevor.«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
S enator James Cassidy sah die Überschrift in The Washington Times , las, dass auf seine Frau angespielt wurde, auf ihre Festnahme wegen Dro genmissbrauchs, dass vom Verdacht auf Rechtsbeugung die Rede war, und wandte sich ab. Es war nun also doch heraus, der Öffentlichkeit preisgegeben, und damit eingetreten, was er so lange gefürchtet und zu verheimlichen versucht hatte. Der schwarze Fleck war aufgedeckt.
Gegen sechs Uhr morgens – Stunden früher als gewöhnlich – in seinem Büro angekommen, traf er dort bereits alle seine engsten Mitarbeiter an, die genauso niedergeschlagen und frustriert aussahen, wie er sich fühlte. Roger Fry ergriff das Wort und sagte ohne Umschweife: »Dass die Washington Times gegen dich stänkert, ist ja nicht neu. Jetzt machen sich allerdings auch andere Blätter über dich und deine Frau her. Das Telefon steht nicht mehr still. Wir haben es mit einem Bombardement auf breiter Front zu tun, J im. Ich habe darauf keinen Einfluss mehr. Keiner von uns hat das.«
»Stimmen die Vorwürfe?«, fragte Mandy Greene, Cassidys Pressesprecherin. Mandy war vierzig, doch der Stress und die Sorgen, die ihr jetzt ins Gesicht geschrieben standen, ließen sie um einiges älter erscheinen. Ihre Augen waren gerötet, und Cassid y konnte sich nicht erinnern, sie jemals dermaßen aufgelöst erlebt zu haben.
Der Senator warf einen Blick auf seinen Stabschef. Roger hatte die anderen allem Anschein nach unterrichtet. »Was wird denn im Einzelnen behauptet?«
Mandy nahm die Zeitung auf und warf sie dann verärgert durch den Raum. »Dass deine Frau vor vier Jahren beim Kauf von Heroin erwischt und festgenommen wurde. Dass du dich für sie stark gemacht und bewirkt hast, dass ihr Fall zu den Akten gelegt wurde. Jetzt wird dir Strafvereitelung und Behinderung der Justiz vorgeworfen.«
Senator Cassidy nickte wortlos. Er setzte sich in seinen großen Ledersessel, wandte sich von seinen Mitarbeitern ab und schaute zum Fenster hinaus ins Grau eines tristen Washingtoner Mor gens. Am Vortag hatte der Reporter mehrmals angerufen, sowohl bei ihm im Büro als auch bei seiner Frau Claire zu Hause, doch die Anrufe waren unbeantwortet geblieben. Er hatte sich deswegen den Kopf zerbrochen und die Nacht über kaum geschlafen.
Claire befand sich zurzeit am Familienwohnsitz in Wayland, Massachusetts. Sie hatte, wie so viele Ehefrauen von Politikern, ihre persönlichen Probleme, und er erinnerte sich, wie der ganze Schlamassel angefangen hatte: der anfangs harmlose Skiunfall und die anschließende Rückenoperation, die zu Komplikationen geführt und die Einnahme von starken Schmerzmitteln notwendig gemacht hatte. Bald brauchte sie ihre Narkotika nicht mehr nur zur Linderung akuter Schmerzen, doch die Ärzte wollten ihr keine weiteren Rezepte mehr ausstellen. Stattdessen rieten sie ihr, eine Selbsthilfegruppe für »Schmerzmanagement« aufzusuchen. Die Tabletten aber hatten Claire auf den Geschmack eines Zustands des süßen Vergessens gebracht und in eine Scheinwelt entführt, in der sie sich geborgen wähnte, geschützt vor den Anstrengungen des öffentlichen Lebens und dem Mangel an Trost, den sie pr ivat empfand. Das musste er sich zum Vorwurf machen – dass er nie da war, wenn sie ihn nötig hatte. Wie sehr seine Welt Claire schadete, war ihm erst nach und nach bewusst geworden. In seiner Welt wurde sie letztlich ins Abseits geschoben, und Claire, so schön, so
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