Der Prometheus-Verrat
Auch sein Name war ihr in dem alten Zeitungsausschnitt über die Ruderwettkämpfe von Pangbourne begegnet; Dawson war ein jüngerer Schulkamerad gewesen, der später, wie sie vermutet hatte, von Vere protegiert worden war.
Irrtum.
Dawson hatte Vere in der Hand gehabt.
Mit kaltem Grinsen wandte er sich Elena zu. »Dumm gelaufen, nicht wahr? Schade um eine so brillante Politikerkarriere. Aber Sie haben mir leider keine andere Wahl gelassen. Was mussten Sie ihm auch so viel erzählen! Er ist ein gescheiter Mann, der sich seinen Teil denkt. Sie verstehen doch, oder?« Er kam mit jedem Wort näher an sie heran, bis sie seinen feuchten Atem spüren konnte. »Rupes war zwar ein fauler Kerl, aber alles andere als auf den Kopf gefallen. Was haben Sie sich dabei gedacht, ausgerechnet mit ihm über Prometheus zu quasseln? Aber vielleicht sollten wir uns jetzt lieber mit Ihrer Person befassen.«
Simon Dawson . Warum hatte sie ihn übersehen? Das gleiche Argument, das Miles Parmore aus der Reihe der Verdächtigen ausscheiden ließ, traf auch auf Rupert Vere zu: Er hatte zu sehr in der Öffentlichkeit gestanden. Der eigentliche Drahtzieher war ein gesichtsloser Funktionär aus der zweiten Reihe, der durch seine ahnungslosen Vorgesetzten agierte.
»Sie haben ihn also die ganze Zeit über im Dunklen gelassen«, sagte Elena, halb zu sich selbst.
»Rupes? Ihn einzuweihen war nicht nötig. Er hat meinem Rat immer voll und ganz vertraut. Und niemand hatte ein so einnehmendes Wesen wie er. Sein Charisma war unbezahlbar. Ich betone: war . Mittlerweile können wir darauf verzichten. «
Sie wich einen Schritt zurück. »Sie meinen, weil Großbritannien nun zu den Unterzeichnern des Abkommens gehört.«
»So ist es. Seit exakt zehn Minuten. Aber wer sind Sie eigentlich? Ich wüsste nicht, dass man uns einander vorgestellt hätte.« Dawson hielt die Browning immer noch mühelos und wie selbstverständlich in der rechten Hand. Mit der linken zog er nun ein flaches metallenes Etui aus der Brusttasche, offenbar eine Art elektronisches Notizbuch. »Mal sehen, was Network über Sie zu sagen weiß«, murmelte er und richtete das Gerät auf ihr Gesicht. Sofort erschien auf
dem kleinen quadratischen LCD-Bildschirm ihr Bild. Dann begann der Bildschirm zu flackern, und Hunderte anderer Porträts wischten darüber hinweg, bis das passende gefunden war.
»Elena Petrescu«, las er von der Anzeige ab. »1969 in Bukarest geboren. Einzige Tochter von Andrei und Simona Petrescu. Vater Andrei war Rumäniens führender Experte in Sachen Kryptografie. Ah, sehr interessant: Kurz vor dem Staatsstreich von 1989 ist er aus Rumänien herausgeschleust worden, und zwar von Nicholas Bryson persönlich.« Er blickte auf. »Sie sind mit Bryson verheiratet. So also fügt sich alles zusammen. Sie beide sind Mitarbeiter des Direktorats. Waren fünf Jahre lang getrennt voneinander. Im Jahr vor Ihrer Trennung hatten Sie – was lese ich da? – insgesamt drei Fertilisationsbehandlungen; sie wollten anscheinend schwanger werden. Hmmm, hat nicht so richtig geklappt, nicht wahr? Sie waren dann einmal wöchentlich bei einem Psychotherapeuten in Behandlung. Warum? Hatten Sie Probleme damit, ein Überläufer im Exil zu sein? War Ihr Job beim Direktorat schuld oder Ihre Ehe?«
In der Diskrepanz zwischen dem, was er sagte, und der Art, wie er es sagte, lag etwas, das Elena erschauern ließ. Ihr fiel auf, dass er die Browning, obwohl er sie nach wie vor in der Hand hielt, kaum zu beachten schien.
»Ihre Pläne sind aufgeflogen. Das sollten Sie wissen«, sagte Elena.
»Ist mir egal«, antwortete Dawson überheblich.
»Das bezweifle ich. Es war Ihnen schließlich auch nicht egal, dass Rupert Vere damit drohte, den MI-5 zu informieren. «
»CIA, MI-6, MI-5 und all die anderen Geheimdienste sind ausgeschaltet. Nur das Direktorat stellt sich noch etwas bockig an – vielleicht weil es so paranoid strukturiert ist; aber dass es sich nicht unterwandern lässt, ist gleichzeitig der große Knackpunkt des Direktorats. Paradox, nicht wahr? Es ist schon erstaunlich, wie lange Sie und Ihre Kollegen brauchen, bis sie endlich einsehen, dass die Zeit an Ihnen vorbeigegangen ist, dass kein Bedarf mehr an Ihnen
besteht. Die NSA wird mit all den Informationen, die sie sammelt, nicht mehr fertig, zumal jetzt der gesamte Internet-Verkehr noch dazugekommen ist. Was soll’s auch? Sie ist ein Relikt des Kalten Krieges und kann sich offenbar immer noch nicht damit abfinden, dass es die
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