Der Prometheus-Verrat
Milliardenhöhe, dann kommt da keiner ran. Dann ist das Haus streng bewacht, jeder Aktenschrank dreifach gesichert, jeder Computer kennwortgeschützt, jede Datei verschlüsselt.«
»Genau deshalb will ich da hin.«
»Nicholas, das ist verrückt!«
Er biss sich auf die Unterlippe. »Lass uns die Sache mal in Gedanken durchspielen. Um bei deiner Metapher zu bleiben: Wenn die Haustür verriegelt ist, steigen wir eben durchs Fenster ein.«
»Und was wäre dieses Fenster?«
»Wenn wir herausfinden wollen, wie aus einer alteingesessenen und angesehenen Handelsbank ein Geldwäschebetrieb werden konnte, müssen wir an Stellen suchen, die auf den ersten Blick unverdächtig erscheinen. Ich glaube, wir müssen uns in der Vergangenheit umsehen, in der renommierten Anlagebank von einst.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Schau, Meredith Waterman war früher eines dieser vornehmen, altmodischen Geldinstitute an der Wall Street, geführt von Tattergreisen, die an einem sargähnlichen Konferenztisch unter den Ölporträts ihrer Ahnen weit reichende Entscheidungen trafen. Meine Frage ist: Wann und warum haben sie damit begonnen, Schmiergelder zu verteilen? Und wer steckte dahinter? Was ist da im Einzelnen passiert?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Wo könnte man die Antworten darauf finden?«
»In den Archiven. Ein Bankhaus, das seine Tradition und Geschichte hochhält, hat bestimmt je den mehr oder weniger relevanten Papierschnipsel für die Nachwelt aufbewahrt. Die alten Knacker hatten noch einen ausgeprägten Sinn für
Historie und waren ungemein interessiert an ihrem Nachruhm. Diese Archive von damals gibt’s immer noch; sie sind für die neuen Besitzer gewissermaßen sakrosankt, weil sie für die guten alten Zeiten stehen. Das ist unser Fenster: der weiche Untergrund, die Jahre, in denen auf Sicherheit nicht so viel Wert gelegt wurde. Also, wie wär’s, wenn du uns zwei Flugtickets nach New York besorgen würdest?«
»Für morgen?«
»Für heute Abend noch. Irgendeine Linie wird bestimmt noch zwei Plätze frei haben. Wir müssen so schnell wie möglich nach New York.«
An die Wall Street , dachte er, im Stammhaus einer ehemals renommierten Investmentgesellschaft, über die heute die Prometheus-Gruppe ihre Geschäfte abwickelt .
Neunundzwanzigstes Kapitel
D as Stammhaus der angesehenen Anlagebank Meredith Waterman lag im Schatten des World Trade Centers an der Maiden Lane im Süden von Manhattan, nur wenige Schritte von der Wall Street entfernt. Anders als der nahe gelegene, im Stil der italienischen Renaissance gebaute Palazzo der Federal Reserve Bank, wo auf fünf unterirdischen Etagen ein Großteil der nationalen Goldreserven lagerte, war das Gebäude von Meredith Waterman eher unauffällig, aber von stolzer, stiller Eleganz: ein viergeschossiges Bauwerk mit Satteldach und einer Ziegel-Kalkstein-Fassade, die vor hundert Jahren im Stil des französischen Historismus errichtet worden war. Es wirkte unzeitgemäß und schien an einen anderen Ort zu gehören, ins napoleonische Paris, als Frankreich noch von der Hegemonie träumte.
Umgeben von den Wolkenkratzern des Bankenviertels, strahlte das Gebäude eine gelassene Selbstsicherheit aus, die es wohl seiner noblen Herkunft verdankte, denn Meredith Waterman war die älteste Privatbank Amerikas. Seit vielen Generationen verwaltete und vermehrte sie das Vermögen der wohlhabendsten Familien Amerikas. Mit dem Namen Meredith Waterman wurde beides verbunden: Gediegenheit und Weltläufigkeit. Fachzeitschriften wie Fortune , Forbes oder The Wall Street Journal priesen die Clubatmosphäre des Hauses wie auch die Tatsache, dass die Familienstammbäume aller vierzehn Gesellschafter bis auf die Gründungszeit Manhattans zurückgingen.
Bryson und Elena hatten sich gründlich vorbereitet. Elena hatte sich in der New York Public Library im Internet angemeldet und Online-Recherchen betrieben. Über die Geschäfte von Meredith Waterman war nur wenig zu erfahren gewesen, was bei einer Privatbank nicht überraschen
konnte. Sehr viel ergiebiger war das, was sie über die Hauptgesellschafter in Erfahrung hatte bringen können: biografische Daten, die sich allerdings ausnahmslos im Bereich des Unauffälligen bewegten. Richard Lanchester war nicht als Partner angeführt. Er hatte sich kurz nach seiner Ernennung zum Sicherheitsberater des Präsidenten aus dem Geschäft zurückgezogen und schien seitdem keine beruflichen Kontakte mehr zu den ehemaligen Kollegen zu unterhalten.
Und wie stand
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