Der Protektor (German Edition)
der Rückfahrt. Vermutlich grübelt er über die Sorgen wegen der drei Kinder und wer weiß, worüber sonst noch – ich stehe seinem Leben sehr fern. Ich wiederum versuche mir das Gespräch mit diesem Gabriel Andersson auszumalen und stelle die Fragen um, die ich mir am Montag für ihn zurechtgelegt habe.
Wir parken im Universitätsbereich, und mein Musketier führt mich zur Chirurgie, die aus drei Kliniken besteht, großen, düsteren Gebäuden, wahrscheinlich im vorigen Jahrhundert erbaut. Sie umschließen eine kurz geschorene Rasenfläche mit in Plastikhüllen gewickelten, trübseligen und beschnittenen, kleinen Rosenstöcken. Die Sonne ist schon hochgestiegen und schimmert durch den sich lichtenden Nebel wie ein Tropfen geschmolzenes Blei. Der Winter kommt.
Die Chirurgie liegt rechts, und bereits im Vorraum umfängt uns die bekannte Atmosphäre absoluter Sauberkeit, die mehr als alles andere von Leiden spricht. Auf den Gängen nur wenige Leute, die Ambulatorien und Warteräume der Universität sind auf der anderen Seite. Wir indes gehen unter dem prüfenden Blick des Pförtners durch den Personaleingang.
Wir steigen Treppen hinauf, klingeln an verschlossenen Türen, und eine ältere Krankenschwester bringt uns zu dem Zimmer, in dem Gabriel Andersson liegt. In dem forschen Blick der Schwester steht heimliches Misstrauen – soviel ich verstanden habe, hat mich Hedlund zuerst als Inspecteur générale vorgestellt und dann „und Arzt“ hinzugefügt, was auch bei der leichtgläubigsten Schwester Misstrauen hervorrufen kann. Und die da gehört nicht zu den Leichtgläubigen, das sieht man ihr an.
Andersson liegt in einem hellen, kleinen Zimmer mit noch einem Kranken. Sein Bett steht am Fenster im fahlen Mittagslicht. Wir treffen Andersson an, wie er halb liegend von einem beweglich am Bett angebrachten Tablett isst. Sein linker Arm und sein Kopf sind verbunden, und unter diesem Verband wirkt sein Gesicht klein und kindlich. Er ist um die Vierzig, hat helle Augen und phlegmatische Bewegungen. Bei unserem Eintritt schiebt er das Tablett weg und wendet sich uns langsam zu.
Hedlund stellt mich mit zwei Worten vor, während ich mir einen Stuhl heranziehe. Ich versuche Andersson klarzumachen, dass er erst fertig essen soll und das mein Kommen nichts Außergewöhnliches bedeutet. Andersson versteht zum Teil, das andere übersetzt Hedlund. Doch ich spüre, dass kein Kontakt zustande kommt, von Anfang an macht sich eine befangene, gespannte Atmosphäre breit. Vielleicht habe ich einen ungünstigen Moment erwischt. Und die Schwester steht auch wie ein unwirscher Feldwebel da, auf ihrem Gesicht steht geschrieben, wie unerwünscht ich bin.
Trotzdem muss ich irgendwo anfangen. Ein paar Worte über den Unfall, der bei dieser Lage der Dinge unvermeidlich war, ich drückte die Hoffnung auf seine baldige Genesung aus, versichere, dass unser Land alle Behandlungskosten übernehmen und nicht zulassen werde, dass er persönlich Schaden erleide. Das lockert die Atmosphäre bis zu einen gewissen Grad auf, und Andersson langt wieder nach seiner Tasse mit der Brühe. Sein Gesicht verzieht sich zu einer schmerzlichen Grimasse – die gebrochenen Rippen.
Dann erkläre ich, weshalb ich hier bin. Ich muss unseren Behörden Bericht erstatten, und dafür benötige ich detaillierte Angaben über den Unfall. Diese Version ist nicht wer weiß wie überzeugend, aber wenigstens annehmbar. Die Zerberusschwester beruhigt sich hinsichtlich meiner Absichten, ermahnt Hedlund, nicht zu lange zu bleiben, und geht.
Ich komme zur Sache.
„Wissen Sie noch, wann Sie aus Garvaregarden abgefahren sind, um wie viel Uhr?“
„Etwa zehn Minuten nach zehn, nicht später“, entgegnet Andersson sofort. Offenbar ist ihm diese Frage schon oft gestellt worden.
„Fahren Sie jeden Abend zur gleichen Zeit?“
„Nein, zu verschiedenen“, erklärt Andersson. „Es hängt von der Ladung… und von der Verpackung ab. Manchmal werden wir aufgehalten, ein anderes Mal wieder nicht. Aber bis elf muss ich unten sein, für die zweite Tour.“
Er, wie alle übrigen Fahrzeuge des Unternehmens, machen drei oder vier Fahrten pro Nacht zur Versorgung der Geschäfte, für die sie arbeiten. Offenbar findet hier die Warenannahme nicht während der Arbeitszeit statt.
„Haben Sie unterwegs irgendwo gehalten?“, lautet meine nächste Frage.
Hedlund übersetzt.
„Nein“, antwortet Andersson sofort. Kann sein, ich täusche mich, aber in seien hellen Augen stiehlt sich ein
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