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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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hatte er sich wieder an sie erinnert, an ihre kleinliche Art zu denken und daran, dass sie bereits während der Schulzeiten stets seine Nähe gesucht hatte und ihm lästig gewesen war, in ihrer plumpen, anmaßenden Vertrautheit.
    Während Beate redete und sich hektisch in der Küche beschäftigte, Schubladen aufriss, Lärm machte, Salz auf den Boden schüttete und ein Gurkenglas umwarf, beobachtete er sie schweigend. Es gab stille Stunden in seiner Seele, in denen Beates dümmliches Geschwätz ungewöhnlich stark an seinem Nervenkostüm kratzte. Gerade heute hatte sie eine dieser Stunden erwischt. Im Zusammensein mit seiner Nymphe hatte er diese Stimmungen, in denen er gerne für sich gewesen wäre, nicht gekannt. Sie hatte er nie von sich gewiesen. Jeder Augenblick, den er gemeinsam mit ihr verbringen durfte, war ein Geschenk ihres Gottes gewesen, der nicht seiner sein konnte.
    »Wir gehören zusammen, Schatz! Das ist am wichtigsten. Wir dürfen niemals vergessen, dass wir …«
    Während er sie reden ließ, fragte er sich, ob sie tatsächlich in den letzten Jahren verlernt hatte, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Wie gelang es ihr, mit dieser Lebenslüge die gemeinsamen Nächte mit ihm zu überstehen? Oder täuschte sie ihn auf dieselbe, hinterhältige Art und Weise wie er sie? Stellte auch sie sich vor, er wäre ein anderer, sobald sie gemeinsam in einem Bett lagen? Schlief er nicht mit ihr, wie er mit seiner Nymphe geschlafen hatte? Oft wunderte er sich am Morgen darüber, wie einfach es ihm fiel, diese beiden Frauen, die so gänzlich unterschiedlich waren, nachts in seiner Vorstellung zu vertauschen.
    Beate machte es ihm leicht. Hatte sie sich doch bisher nie darüber beklagt, dass er sie im Dunkeln mit einem Kosenamen ansprach, den er, sobald es hell war, nicht über seine Lippen brachte, weil er allein der anderen gehörte. Dabei war ihm durchaus bewusst, dass die Realität keineswegs seiner nächtlichen Wunschwelt entsprach, und am Tage litt er darunter, dass seine Wirklichkeit farblos, öde und einsam war.
    Tommy deckte den Tisch mit Weingläsern, Tellern, Besteck, einem Brotkorb und einer Butterschale und fragte, ob er ihr nicht helfen könne. Zupfte Salat, kochte Eier, schnitt Tomaten in Scheiben, führte jeden Handgriff aus, als stände jemand hinter ihm und steuerte ihn fern, bewegte seine Hände, seine Arme und Beine. Dieser Jemand ließ ihn an diesem Abend sprechen, lachen, Beate küssen und später mit ihr in der Finsternis schlafen, währenddessen er in seinem Kopf ein Sofa für seine Nymphe herrichtete, sie sich darauf ausstreckte und mit ihm über die Frau lachte, die früher schon fortwährend – und stets zur falschen Zeit – zu viel und zu lange geredet hatte.

M ITTWOCH, DEN 20. A PRIL 2011
    Heide hatte – auch um sich abzulenken – den Dienstagabend mit ihrem Vater und dessen Lebensgefährtin Celia verbracht. Irgendwann hatte Dieter sich gemeldet, ihr von der Hausdurchsuchung bei Schöllen erzählt und ihr mitgeteilt, dass es sehr spät werden würde und sie nicht auf ihn warten solle. Seine Stimme hatte müde und erregt zugleich geklungen. Das Gespräch hatte weniger als fünf Minuten gedauert. Heide kannte ihn gut genug, um zu wissen, was in ihm vorging und in welcher Ermittlungsphase er und seine Kollegen steckten. Wahrscheinlich standen sie kurz vor einem Durchbruch.
    Während Dieter an der Aufklärung eines Verbrechens arbeitete, kam er nicht zur Ruhe und bewegte sich unentwegt an der oberen Grenze dessen, was er zu leisten vermochte. War seine Arbeit erfolgreich beendet, brach er zusammen und holte den Schlaf, den er bis dahin versäumt hatte, an einem Stück nach. Er warf sich auf sein Bett oder ein Sofa, fiel in einen todesähnlichen Tiefschlaf und war weder durch gutes Zureden noch mit anderen Verführungen wach zu kriegen. Irgendwann – nach Stunden, manchmal auch erst nach zwei Tagen – sprang er auf, war gleich quietschvergnügt, hatte einen Mordshunger und aß den Kühlschrank leer.
    Als Heide ihn am frühen Morgen in der Diele hörte, stand sie auf, schlüpfte in eine Jogginghose und ein T-Shirt und ging ihm entgegen. Sie musste ihn nicht fragen, ob der vergangene Tag und die eingelegte Nachtschicht erfolgreich verlaufen waren. Seine unzufriedene Miene zeigte ihr deutlich, dass er und seine Kollegen nicht die Ergebnisse vorweisen konnten, die er sich am Vorabend erhofft hatte.
    »Ist das deine Collage, die dort eingewickelt an der Wand steht?«, fragte er und

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