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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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die das Leben der Familie von einem auf den anderen Moment in einen Alptraum verwandelt hatte.
    »Ich melde mich bei dir, sobald es etwas Neues gibt«, beendete Volker das Gespräch.
    Es war wahrscheinlich das Beste, Inga und Paula erst einmal bei sich zu behalten, entschied Marianne, nachdem sie zurück in die Küche gegangen war. Sie bereitete das Abendbrot für die Mädchen zu, badete sie, machte sie bettfertig und scheuchte sie dann unter lautem Gejohle in ihr Schlafzimmer. Der Gedanke, gerade heute Nacht Simones Töchter neben sich zu haben, beruhigte sie und schenkte ihr auf eine unerklärbare Art eine Zufriedenheit, die sie lange nicht mehr gefühlt hatte.
    *
    Mit seiner Nymphe hatte sie sich nie messen lassen können, dachte Tommy, während er Beate ansah, die vor ihm in der Küche stand und ihn anstrahlte. Er kannte den flehenden Ausdruck ihrer Augen und wusste, was sie heute Abend von ihm fordern würde. Beate wollte gestreichelt und geküsst und von ihm ins Bett getragen werden. Seine Nymphe und er hatten sich überall geliebt, und es war ihm gleichgültig gewesen, ob oder wann sich einer von ihnen die Zähne geputzt oder geduscht hatte. Mit ihr an seiner Seite waren die Tage und die Nächte leicht und beschwingt gewesen. Keinen einzigen Gedanken hatte er an Keime, Bazillen, Bakterien oder Viren verschwendet. Ein Tag hatte viele Stunden Freizeit gehabt, als Seife, Wasser, Desinfektionsmittel und Handcreme noch nicht den Ablauf seines armseligen Daseins bestimmten.
    »Ich bin hungrig«, sagte Tommy. »Zeit fürs Abendbrot!« Er fasste Beate an den Schultern, schob sie zur Seite, öffnete den Kühlschrank und sah hinein.
    »Ich könnte uns einen Salat zubereiten«, schlug Beate vor, die sich so dicht hinter seinen Rücken gestellt hatte, dass ihr Atem seinen Nacken streifte.
    »Ja, das wäre schön«, log Tommy. »Darauf habe ich Appetit.« Er trat hastig zur Seite und ging in die Essecke. Vor einer antiken Vitrine blieb er stehen und betrachtete sein blaues Service.
    Beate beobachtete ihn. Sie wusste, dass das Geschirr, auf das er starrte, seiner Verflossenen gehört hatte. Meissen , Zwiebelmuster, kobaltblau, vor 1900. Ein Erbstück irgendeiner Tante, aus Zeiten, in denen die jungen Damen aus wohlsituierten Familien eine komplette Aussteuer mit in die Ehe brachten.
    Beate hatte sich schon vor langer Zeit eine eigene Meinung über Tommys Verflossene gebildet, über ihre Art, sich zu kleiden, darüber, wie sie gesprochen, getanzt und ihre Haare getragen hatte. Doch nach anfänglichen Auseinandersetzungen mit Tommy, bei denen stets seine »Nymphe« der Anlass ihres Streits gewesen war, hatte sie sich vorgenommen, möglichst zu schweigen, wenn er sie erwähnte oder irgendeinen Plunder aus seinen Schränken holte, der ihr gehört hatte. Tommy betrachtete jeden Aschenbecher, jede Vase, jedes Schälchen, das irgendwann von seiner Nymphe berührt worden war, wie ein Heiligtum. Tausendmal und öfter hatte Beate sich geschworen, dass diese Dinge Tommys Umzug in ihr Elternhaus nicht überstehen würden. Bei der nächstbesten Gelegenheit wollte sie beginnen, diese Erinnerungsstücke heimlich zu entsorgen. Ehe Tommy sich versah, würde er diese albernen Souvenirs vergessen haben.
    Ab und an, wenn er eine seiner depressiven Phasen durchlitt, belog Beate ihn, um ihn aufzumuntern. Deine Nymphe wusste, was toll aussieht , pflegte sie dann zu sagen. Ich habe nie eine hübschere Frau gesehen als sie. Sie war intelligent, belesen, überall beliebt und der Mittelpunkt jeder Gesellschaft. Beate beschloss, die Traurigkeit, die sie jetzt in seinem Gesicht erkannte, zu ignorieren, und erzählte von einer Nachbarin, die innerhalb von vier Jahren in wenigen Monaten das dritte Kind bekommen würde, und davon, was irgendjemand dazu gesagt hatte. Nachdem sie den neuesten Dorfklatsch losgeworden war und von einem Kleid geschwärmt hatte, das sie in irgendeinem Katalog gesehen und sich bestellt hatte, kam sie zu dem Thema, das ihr am liebsten war.
    »Ich habe dich immer geliebt, nur dich, Tommy. Du mich auch? Hast du auch nur mich geliebt?«
    »Ja!«, sagte Tommy. Er hatte sie vergessen gehabt! Beate Buttenstett, die nichtssagende Kleine. Verschwunden – ausgelöscht – winzig – unbedeutend. Sie hatte keinen Platz gehabt in seinen Gedanken, die sich ausschließlich mit seiner Liebsten, mit seinem Studium und später mit seinem Beruf beschäftigt hatten. Erst als er ins Dorf zurückgekommen war, um Mariannes Apotheke zu übernehmen,

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