Der Puppenfänger (German Edition)
die Polizei verständigt.«
»Hast du den Brief gelesen?«, murmelte Marianne und fügte in Gedanken, an Christina gewandt, hinzu: Du weißt, was in dem Brief steht, Tina. Du weißt alles. Dir kann niemand mehr etwas vormachen. Die Toten können es nicht und die Lebenden auch nicht .
»Ja!«, klang es durch den Hörer.
»Das ist gut!«
»Du weißt, dass Schöllens Bruder Gunnar Laxhoff getötet wurde und auch, dass man seine Leiche bei Haren aufgefunden hat!«, sagte Volker.
»Ja, darüber haben nicht nur wir beide bereits gesprochen, darüber redet jeder im Dorf. Und bisher habe ich von niemandem gehört, der Schöllen deswegen bedauert.« Marianne hielt den kühlen Bilderrahmen an ihre Wange und schloss die Augen. Das Glas fühlte sich angenehm glatt an. Sie stand auf, stellte den Rahmen zurück auf die Fensterbank und schenkte Christina ein Lächeln.
»Schöllen gesteht in diesem Brief den Mord an seinem Bruder. Er schreibt, dass er mit dieser Schuld nicht weiterleben kann.«
»Wirklich?«, sagte Marianne laut und lachte ironisch auf. »Er hat sich also tatsächlich umgebracht. Das bedaure ich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich bin erleichtert darüber, dass sogar ein herzloser Mensch, wie Schöllen es gewesen ist, zeitweilig so etwas wie ein Gewissen besaß. Ich hoffe, er hat ordentlich gelitten, ehe er ins Jenseits hinüberging, und ich bete, dass er jetzt in der Hölle schmort.«
»Denke nicht, dass ich Schöllen bemitleide, Marianne. Mir wäre es nur wesentlich lieber, Simone und Richard wären nicht in diese unleidliche Angelegenheit mit hineingezogen worden.«
»Ja, mir geht es genauso«, stimmte sie ihm zu, den Blick auf das bunte Holzhaus gerichtet, dessen Farben im späten Abendlicht auf eine bizarre Art verblichen und abgenutzt wirkten.
»Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, die Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden, zu entkräften«, sagte Volker.
»Willst du andeuten, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, in dem …«
»Nein!«, beschloss Volker energisch. »Wir warten ab, und du rührst keinen Finger! Ich werde alles Mögliche unternehmen, um Richard und Simone aus dieser Sache rauszuholen. Im Moment stehen ihre Chancen nicht schlecht. Es sei denn, die Beamten zaubern zusätzliches Belastungsmaterial aus dem Hut.«
»Ist es nicht absolut verständlich, dass Simone, nachdem sie den Brief gelesen hatte, die Nachricht vom Selbstmord ihres Ehemannes erst einmal allein für sich verarbeiten musste, bevor sie die Polizei darüber informierte? Das sollte eigentlich jeder begreifen.«
»Schöllen gesteht in dem Brief, dass er Christina im Frühling 1992 vergewaltigt hat, und er gibt zu, dass er den Verkehrsunfall, bei dem sie mit ihren Kindern tödlich verunglückte, absichtlich herbeigeführt hat. Angeblich hat Christina ihn an einer Tätowierung als ihren Vergewaltiger erkannt.«
»Tatsächlich?«, erwiderte Marianne kühl. Während sie Volkers Worten lauschte, stieg sie langsam die Treppe hinauf, öffnete die Tür zu Christinas Schreibzimmer, zog die unterste Schublade des Schreibtisches auf, suchte nach einer Sammelmappe und hielt wenig später eine Zeichnung in den Händen.
»Marianne?«, fragte Volker. »Warum antwortest du mir nicht? Hörst du mir nicht zu?«
»Ja«, murmelte sie, während sie die Zeichnung betrachtete, die ein schwarz bestrumpftes Frauenbein zeigte, dessen Fuß in einem roten Pumps steckte. »Ich höre dir zu. Du sprachst über zwei Entwürfe dieses Briefes, die man in Simones Altpapiercontainer gefunden hat, und darüber, dass dieser Umstand sie belastet. Das begreife ich nicht. Schöllen selbst könnte die Briefe dort entsorgt haben.«
»Die Briefentwürfe wurden nach dem 15. April in den Container gelegt, und Simone hat ausgesagt, dass sie ihren Mann am Montag, den 11. April das letzte Mal gesehen hat.«
»Ich möchte wissen …« Marianne brach ab, räusperte sich und murmelte: »Ich frage mich, woher diese Entwürfe stammen und wer sie in den Altpapiercontainer geworfen hat.«
»Ja, das frage ich mich auch.«
»Ich begreife das nicht. Es wirkt auf mich, als wolle irgendjemand Simone belasten.«
»Wir wissen beide, Marianne, dass einige Vorkommnisse sich nicht in der Art und Weise zugetragen haben, wie Schöllen sie in seinem Brief beschrieben hat. Immerhin war Richard damals bereits mit Christina befreundet. Oder irre ich mich?«
»Nein«, erwiderte sie. »Du irrst dich nicht.« Richard und Christina waren bereits verlobt gewesen, als die Katastrophe geschah,
Weitere Kostenlose Bücher