Der Puppenfänger (German Edition)
trieb.
*
Heide kämpfte unverdrossen gegen ihre schlechte Laune an, als sie bei allerschönstem Sonnenschein ihr Büro verließ. Sie war unausgeschlafen und hatte Kopfschmerzen. Während die sympathische Stimme eines Nachrichtensprechers leise aus dem Radio klang, kutschierte sie ihren Golf im Schritttempo durch Osnabrück. Sie fuhr über die Dielingerstraße zum Heger-Tor-Wall, sah das Nussbaummuseum vor sich, blieb an einer roten Ampel stehen und beobachtete eine Schulklasse, die schleppend langsam vor ihrem Golf die Straße überquerte. Währenddessen ließ sie die vergangenen Stunden Revue passieren, wurde zornig, als sie an Dieter dachte, und ärgerte sich, weil der Verkehr für die Uhrzeit erstaunlich dicht war und vor der Kunsthalle Dominikaner Kirche fast zum Erliegen kam. Heide wusste, dass sie stur und nachtragend sein konnte, aber gewöhnlich richtete sie sich nach zwei Lebensweisheiten ihrer verstorbenen Mutter. Die eine empfahl, Frieden mit denen zu schließen, die man liebt, ehe ein neuer Tag anbricht, und die zweite lautete, man möge niemals im Zorn aus dem Haus gehen. Deswegen ärgerte es sie im Nachhinein, dass es ihr und auch Dieter nicht gelungen war, den Streit zu schlichten, ehe er nach Hannoversch Münden gefahren war.
Am Sonntag würde er zurückkommen. Eine Versöhnung war unkomplizierter zu bewerkstelligen, wenn man am Abend gemeinsam unter eine Bettdecke kroch. Ihre kalten Füße suchten dann gerne seine warmen Beine und er … Egal! Sie würde bis zum späten Nachmittag auf seinen Anruf warten und sich bei ihm melden, falls er nichts von sich hören ließ. Aber unter welchem Vorwand –? Irgendetwas würde ihr einfallen.
Nachdem Heide die Osnabrücker Innenstadt verlassen hatte, ließ sie sich von ihrem Navigationssystem über Bramsche und Ankum nach Herzlake und weiter nach Holte leiten. Wenige Kilometer vor ihrem Ziel meldete sich Miss Marple , die sie auf den Beifahrersitz gelegt hatte, und ließ ihre Titelmusik hören. Heide warf einen Blick auf das Display. Dieter ruft an!
Auch in dem Format der Anzeige hatte er seine Spuren hinterlassen. Sein Anruf deutete darauf hin, dass er ebenso mit seinem schlechten Gewissen zu kämpfen hatte wie sie mit dem ihren. Sie fuhr an den Straßenrand, stoppte, schaltete das Radio aus und nahm den Anruf entgegen.
»Tut mir leid«, brummelte er.
Heide musste lächeln. »Mir tut es auch leid.«
»Ich sollte dir nicht vorschreiben, an welchen Aufträgen du arbeiten darfst und welche du ablehnst.«
»Sehr richtig. Das solltest du nicht. Und dafür will ich dich nie wieder arroganter Bulle nennen«, erwiderte Heide und wusste im selben Moment, dass sie dieses Versprechen nie und nimmer halten würde. Es sei denn, sie gewöhnte sich an, die Wörter Pascha und Bulle durch vergleichbare zu ersetzen. Zum Beispiel konnte sie ihn als blasierten Chauvinisten bezeichnen oder …
»Warum lachst du, meine Schöne? Vielleicht besuche ich dich heute Abend. Die paar Kilometer rutsche ich auf einer Backe runter. Ich komme gegen Mitternacht und fahre morgens in aller Herrgottsfrühe nach Hannoversch Münden zurück.«
»Beate und ich haben abgesprochen, dass ich bei ihr in Holte übernachten werde.«
»Dann sehen wir uns Sonntag. Allerdings erst spät. Du weißt, dass wir bei Schoven Skat spielen.«
»Ja.« Den Skatabend mit einem Lingener und zwei ehemaligen Osnabrücker Kollegen, der höchstens sechs Mal im Jahr stattfand, ließ Dieter ungern ausfallen.
»Wo bist du jetzt?«
»Als Miss Marple mich mit ihrer Musik erfreute, habe ich schnell auf einem Seitenstreifen geparkt. Bis dahin bin ich über reparaturbedürftige Sträßchen durch die sanfte Hügellandschaft des Hümmlings gefahren.«
»Ich habe mich erkundigt, Heide. Es liegt bisher keine Vermisstenmeldung nach einem Gerald Schöllen vor.«
»Beates Schwester Simone war am späten Montagabend auf dem Revier, um ihn als vermisst zu melden. Sie wurde gefragt, ob ihr Mann schon früher unangekündigt über Nacht nicht nach Hause gekommen ist, ohne sich bei ihr zu melden. Das musste sie bejahen, da Schöllen vor einigen Wochen in einen nächtlichen Unfall verstrickt war und sich deswegen erst am nächsten Tag bei ihr …«
»Schau einer an«, unterbrach Dieter. »Ich sagte dir bereits gestern Abend, dass …«
»Was? Willst du den Streit fortsetzen oder mir zuhören, du …?« Sie schluckte die beiden Wörter blasiert und Chauvinist hinunter und begann stattdessen erneut zu lachen.
Dieter stimmte in
Weitere Kostenlose Bücher