Der Puppenfänger (German Edition)
aus einem Spielwarengeschäft veräppelt, dessen Schrift nur unter einer mitgelieferten UV -Lampe sichtbar wurde. Heide hatte das alberne Kindergartengeschenk an ihre Nichte weitergereicht, zum Gegenschlag ausgeholt und sich wenige Tage später mit einem 20 Zentimeter hohen und 35 Zentimeter langen, quietschbunten Plastikbehälter für Dieters Frechheiten revanchiert. Der Bleistiftständer – gestaltet als ermordeter, blutverschmierter Gartenzwerg – eignete sich bestens für den Schreibtisch eines Kriminalhauptkommissars.
Helen griff nach der Warmhaltekanne, die auf Heides Schreibtisch stand, nahm zwei Becher von einem Servierwagen und schenkte Kaffee ein. Als Heide feststellte, dass Helen ihre Fingernägel mit einem Nagellack verschönert hatte, dessen Farbton identisch mit dem ihres giftgrünen Kleides war, stieß sie einen Pfiff aus und spöttelte: »Nehmen se jrün, jrün hebt!«
Helen ignorierte Pfiff und Spott, reichte Heide den Kaffeebecher und forderte: »Erzähl mir mehr von Beate Buttenstett und von ihrer Schwester. Wo wohnen sie?«
»Sie leben immer noch dort, wo sie aufgewachsen sind, in Holte, einem kleinen Dorf im Hümmling. Beate sagte, dass Simone und ihr Mann Gerald Schöllen im Ort gebaut haben. Sie haben zwei Kinder. Beate arbeitet an der hiesigen Schule als Lehrerin.«
»Verheiratet ist sie nicht? »
»Nein. Sie hatte, was Männer betraf, nie ein glückliches Händchen. Allerdings scheint sich das geändert zu haben. Sie erwähnte einen Mann namens Thomas Orthes. Der muss bei ihr gesessen haben, während sie mit mir telefonierte. Irgendwann sprach sie ihn direkt an.«
Helen nahm einen Notizblock und einen Stift von Heides Schreibtisch und begann mit erstaunlicher Geschwindigkeit ihre Stenografie-Kenntnisse vorzuführen. »Wie heißt ihr Schwager?«
»Schöllen, Gerald Schöllen. Beate erzählte, er besitze mehrere Fitnessstudios.«
»Und seine Frau? Wo arbeitet sie?«
Heide zuckte mit den Achseln. »Darüber haben wir nicht gesprochen. Allerdings weiß ich, dass sie vor ihrer Heirat als Floristin in einem Osnabrücker Blumengeschäft beschäftigt war.«
»Ich denke, ich schmeiß meinen Rechner an und nehme mir zuerst Schöllens berufliches Umfeld vor«, murmelte Helen, während sie ihre spärlichen Notizen überflog und das beschriebene Blatt vom Block abriss. »Mal gucken, was er so ausspuckt. Anschließend telefoniere ich mit Betty. Du weißt ja, seitdem sie entbunden hat, rennt sie von einem Fitnessstudio ins andere und ist deswegen immer bestens darüber informiert, was sich in der Branche so tut.«
»Beate ist mindestens zehn Jahre älter als Simone«, sagte Heide nachdenklich. »Ich meine mich erinnern zu können, dass sie nach dem frühen Tod der Mutter so eine Art Ersatzmutter für ihre Schwester wurde.«
*
Bereits am Dienstagnachmittag war Beate Buttenstett zu ihrem Hausarzt gegangen. Sie hatte ihm von ihrem Schwager Gerald Schöllen erzählt, der seit Montag vermisst wurde, und von Simone, die den Beistand ihrer Schwester im Moment nötiger brauchte als je zuvor. Der Arzt, ein alter Bekannter ihres verstorbenen Vaters, war ihrem Wunsch umgehend nachgekommen und hatte sie krankgeschrieben. Seither telefonierte Beate fast stündlich mit Simone und besuchte sie einmal am Tag.
Jetzt saß sie daheim in ihrer Küche, hatte die Hände gefaltet in den Schoß gelegt und blickte durch ein großflächiges Blumenfenster in den Garten. Sie war seit dem frühen Morgen auf den Beinen, um ihr Elternhaus für den Besuch herzurichten. Ein Haus, das sie zwar liebte, das aber für sie allein zu groß war und Unmengen ihrer Kräfte verbrauchte. Nach dem Tod ihres Vaters hatte der Unterhalt des Grundstücks zuerst sein Sparbuch aufgefressen und seit geraumer Zeit auch den größten Teil ihres Einkommens.
Das Wohnzimmer war bereits einigermaßen empfangsbereit. Beate hatte den Boden gesaugt und flüchtig Staub gewischt. Anschließend die unterschiedlichsten Dinge, die sich im Laufe der letzten Wochen in der Sitzgruppe und auf dem Couchtisch angesammelt hatten, in den Wohnzimmerschrank gestopft, die Schranktüren verschlossen und die Schlüssel in eine blau geblümte Porzellanvase gelegt.
In ihr Arbeitszimmer, das früher das ihres Vaters gewesen war, hatte sie lediglich einen kurzen Blick geworfen. Der schmale Raum mit dem Bücherschrank aus Eichenholz und den unzähligen heimatkundlichen Motiven, die er fotografiert hatte, verkörperte alles, was aus ihr geworden war. Was ihr Alter , wie
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