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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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an, sobald Karel uns sagen kann, von welchem Fahrzeug die Reifenabdrücke stammen«, entschied Dieter. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nach der Besprechung Heide anzurufen, um sie über die veränderte Situation in der Vermisstensache Schöllen zu informieren. Jetzt verwarf er seinen Vorsatz. Schließlich war exakt das eingetreten, was er bereits gestern Abend befürchtet hatte. Sie fischte wieder einmal in seinem Teich und ließ ihn vor seinen Kollegen und vor der ganzen Welt dastehen wie einen Vollidioten.
    *
    Helen rief an, als Heide mit Simone und Beate im Wintergarten vor Platten und Schüsseln voller Essen saß. Simone hatte sofort nach ihrer Ankunft ein Familienalbum präsentiert und mit jedem Foto auf jeder einzelnen Seite demonstriert, dass Heide eine glückliche, gutsituierte Familie betrachten durfte. Nachdem das Album durchblättert war, wusste Heide, dass der fast schwarzhaarige Gerald Schöllen ebenso fotogen war wie seine bildhübsche blonde Frau und seine ebenso entzückend aussehenden, niedlichen Töchter. Er lächelte aus einem gutgeschnittenen, gebräunten Gesicht freundlich in die Kamera, zeigte dabei blendend weiße Zähne und einen durchtrainierten, wohlproportionierten Körper.
    Anschließend hatten sie über die Entführung gesprochen und darüber das Essen vergessen. Simones Töchter, Paula und Inga, waren bei ihrer Ankunft übermüdet gewesen. Ihre Mutter hatte sie ins Wohnzimmer getragen, Inga auf das Sofa gelegt, Paula ein Bettchen auf zwei zusammengeschobenen Sesseln hergerichtet und eine Pipi-Langstrumpf- Kassette eingelegt, die jetzt immer weiter lief.
    Heide schob Simones Fotoalbum zur Seite, als Miss Marple zu singen begann. Sie holte das Handy aus ihrer Handtasche und ging damit in den Garten. Erst nachdem sie auf einer Bank Platz genommen hatte, von der aus sie den hellerleuchteten Wintergarten sehen konnte, nahm sie den Anruf entgegen. Helen war ehrgeizig. In der Regel ließ sie sich nicht von vorgegebenen Bürozeiten durch den Tag leiten, sondern beendete ihre Arbeit, sobald sie der Meinung war, ein ausreichendes Pensum erfüllt zu haben. Heide, die schnell bemerkt hatte, dass Helen, genau wie sie selbst, zu den Menschen gehörte, die sich im freien Lauf und ohne Zügel am leichtesten, am schnellsten und am sichersten fortbewegten, ließ sie gewähren.
    An diesem Donnerstag hatten Helens Recherchen im Fall Gerald Schöllen sie gegen acht Uhr am Abend ans Ziel geführt. Allerdings erst, nachdem sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hatte. Mit der Auskunft eines ehemaligen Arbeitskollegen, Gerald Schöllen sei bis zu seinem zehnten Lebensjahr in einem kleinen Dorf in der Grafschaft Bentheim zur Schule gegangen, gelang ihr der Durchbruch. Von da an purzelten ihr die Informationen wie von alleine zu. Bald konnte sie in Gerald Schöllens Biografie lesen wie in einem offenen Buch.
    »Hallo Chefin«, meldete sie sich, noch bevor Heide sie begrüßen konnte. »Es hat lange gedauert! Tut mir leid. Das Wichtigste zuerst: Gerald Schöllen hat einen Halbbruder. Er heißt Gunnar Laxhoff und ist – salopp formuliert – ein ziemlich schlimmer Finger.«
    »Verstehe«, erwiderte Heide und beobachtete, während sie Helens Stimme lauschte, interessiert Beate und Simone. Sie sprachen angeregt miteinander. Simone zündete zwei Zigaretten an und gab eine an ihre Schwester weiter. Dann erhob sie sich, holte die Rotweinflasche von einem Servierwagen, schenkte sich und auch Beate hastig ein und brachte die Flasche zurück. Simone war nicht nur jünger und hübscher als Beate. Sie wirkte mit den gelockten, blondierten Haaren, die ihr über die Schulter fielen, weicher als ihre Schwester und unterschied sich von ihr durch eine ruhigere Gestik und sanftere Stimme. Beide Frauen kauften wahrscheinlich die gleiche Kleidergröße, und auf den ersten Blick ähnelten sie sich, obwohl sie einen ganz unterschiedlichen Stil hatten. Simone trug eine schwarze, sehr elegant geschnittene Hose zu sandfarbenen hohen Pumps und einem gleichfarbigen, modischen Kaschmirpullover, der ihr nur knapp bis zur Taille reichte. Beate bevorzugte verspielte, lange weite Röcke aus blumigen Stoffen. Heute hatte sie sich für einen blauen Rock entschieden, bedruckt mit weißen Margeritenblüten, und dazu ein enges weißes Shirt und flache Sandalen angezogen. Während Heide die Abendsonne genossen hatte, war Beate in einem der Erdgeschosszimmer verschwunden und mit frisch gewaschenen Haaren und

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