Der Puppenfänger (German Edition)
dreh dir gleich den Hals um, ab mit dir in den Kindergarten. Du bist so doof!‹
Jetzt starrte Heide auf schwere, schwarze Vorhänge, mit denen Herr Buttenstett den Vorraum abgeteilt hatte. Sie schob den Stoff auseinander und fand ihre Vermutung bestätigt. In der Dunkelkammer, die nun im Dämmerlicht lag, weil sie die Zimmertür nicht zugezogen hatte, hingen unzählige mit Wäscheklammern befestigte Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Heide betrachtete sie interessiert und freute sich für Beate, dass deren Vater – im Gegensatz zu Christian – mit einem bewundernswerten fotografischen Talent gesegnet gewesen war. Mehrere Arbeiten, die eine jugendliche Beate und ein ungefähr gleichaltriges Mädchen zeigten, weckten Heides Interesse ganz besonders und berührten auf seltsame, unerklärliche Weise ihr Innerstes. Sie nahm eine dieser Aufnahmen, sah sich die Rückseite an, stellte fest, dass sie beschriftet war, las Alexandra Rosenbring und Beate, Holte, im Frühling 1990 und verließ den Raum. Morgen würde sie Beate fragen, was aus der unbekannten Schönheit geworden war, mit der Herr Buttenstett seine Tochter so häufig abgelichtet hatte.
*
Bereits auf der Straße sah Simone Richards Schatten im Lichtkegel ihres Fahrzeuges. Sie war froh, dass sie die Bewegungsmelder am Gebäude und auch im Garten abgestellt hatte und die Rollos und Jalousetten heruntergelassen waren. Erleichtert betätigte sie den automatischen Toröffner, schaltete fast zeitgleich das Abblendlicht aus und ließ ihn im Schutz der Dunkelheit ins Haus gehen. Erst nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, fuhr sie ihr Auto über die Rampe in die Kellergarage. Sie schloss das Tor, noch ehe sie den Motor ausschaltete.
Richard öffnete geräuschlos die hintere Fahrzeugtür und hob behutsam die schlafende Paula aus ihrem Kindersitz.
Die Kleine schlug die Augenlider auf und lächelte ihn an. »Hallo, wolln we Tennipieln?«
»Hallo Paula! Bist du müde?«
»Mmmh. Gan dol!« Paula schob ihren Daumen zurück in den Mund und schlief sofort wieder ein.
Simone reichte Richard den Schlüsselbund und sprach leise mit Inga, die sich, an der Hand ihrer Mutter, mit halbgeschlossenen Augen schwerfällig in Bewegung setzte.
»Ich freue mich sehr, dass du auf uns gewartet hast«, flüsterte Simone, als sie neben Richard die Treppen ins Obergeschoss hinaufstieg. Sie beschloss, ihm einen Haustürschlüssel zu geben, um diese oder ähnliche Situationen für die Zukunft zu vermeiden.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, erwiderte Richard ebenso leise und lächelte sie an, als er die schlafende Paula in ihr Bettchen legte. »Der Besuch bei deiner Schwester hat tatsächlich länger gedauert, als wir angenommen hatten. Willst du die Mädchen waschen und ihnen einen Schlafanzug anziehen?«
»Nein! Die Kinder sind todmüde. Ich habe ein entsetzlich schlechtes Gewissen, dass ich ihnen diesen Ausflug überhaupt zugemutet habe.« Simone drückte erst Inga, anschließend Paula einen Kuss auf die Stirn und verließ vor Richard das Kinderzimmer. »Morgen setze ich beide in die Badewanne. Eine Nacht werden sie ungewaschen überstehen.«
»Nein, sicherlich nicht«, stimmte er zu, während er Simone im Dämmerlicht, das von der Diele in den oberen Flur fiel, betrachtete. Sie sah angespannt und erschöpft aus. Seine Freundin meisterte das Leben mit ihren Töchtern auf eine beeindruckende Weise, und dafür bewunderte er sie. Obwohl die Mädchen einen Vater hatten, führte sie seit langem das Leben einer alleinerziehenden Mutter.
»Wie geht es dir?«, fragte er fürsorglich.
»Es war ein entsetzlicher Abend, den ich nur mit sehr viel Selbstdisziplin überstanden habe und so schnell wie möglich wieder vergessen möchte. Ich begreife beim besten Willen nicht, weswegen Beate ihre Bekannte beauftragt hat, nach Gerald zu suchen. Was hat sie sich dabei nur gedacht?«
»Ich hatte leider schon in der Grundschule des Öfteren den Eindruck, dass deine Schwester manchmal handelt, ohne zuvor ihren Verstand eingeschaltet zu haben.«
Sie gingen gemeinsam die Treppe hinunter und betraten die Küche. Dort marschierte Simone geradewegs zum Kühlschrank, nahm eine abgedeckte Käseplatte heraus, befreite sie von der Alufolie und stellte sie auf den Küchentisch. »Ich habe einen Mordshunger. Unter dem wachsamen Blick dieser Detektivin konnte ich keinen einzigen Happen essen. Gott sei Dank habe ich uns einen Imbiss vorbereitet, bevor ich zu Beate fuhr. Holst du uns eine Flasche Rotwein aus dem Keller
Weitere Kostenlose Bücher