Der Puppenfänger (German Edition)
ein Unfall oder eine Selbsttötungsabsicht vorliegt. Das war zu diesem Zeitpunkt nicht der Fall«, erwiderte Haila. »Wir möchten Ihnen allerdings einige Fragen stellen, die Sie möglicherweise beantworten können.«
»Treten Sie doch bitte ein«, sagte Simone.
Sie ging vor den Männern ins Wohnzimmer, obwohl sie die Unterhaltung lieber in der Küche geführt hätte. Aber auf dem Küchentisch lag ihre Handtasche, und darin verwahrte sie ein Foto von Richard. Man konnte nie wissen, wozu Polizisten imstande waren. Möglicherweise kramten sie in einem unbeobachteten Moment in den Taschen und Schränken fremder Leute. In ihrer vertrauten, alltäglichen Umgebung würde es ihr zwar leichter fallen, sich selbstbewusst und natürlich zu geben als in Geralds Designer-Möbelhalle, aber sicher war sicher.
Sie zeigte auf ein weißes Ledersofa, bat die Beamten Platz zu nehmen, setzte sich ihnen gegenüber in einen Sessel und nahm Paula auf den Schoß. Ihre Tochter blieb keinen Moment ruhig sitzen. Sie strahlte den größeren an und zeigte ihm, wie gelenkig sie war und wie behände sie ihre Sitz-, Streck- und Standübungen auf den Oberschenkeln ihrer Mutter ausführen konnte.
»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, fragte Simone. Als die Herren bejahten, stellte sie Paula kurz entschlossen auf den Teppich und ließ ihren Besuch mit dem Kind allein.
Michel blickte sich im Wohnraum um, sah Dieter an und lächelte ironisch. »Nobel geht die Welt zugrunde. Bisher hatte ich keine Ahnung, dass man durch den Besitz einiger Fitnessstudios in kurzer Zeit ein Vermögen erwirtschaften kann.«
Dieter unterbrach seinen Flirt mit Paula, durchschritt den Raum, blieb vor einer Glasfront stehen und schaute auf einen großzügigen, im Innenbereich liegenden Pool mit angegliedertem Wellnessbereich und diversen Fitnessgeräten. Paula entdeckte einen silbrig glänzenden Kristallleuchter auf dem Couchtisch, stand blitzschnell auf ihren kurzen Beinchen, eine Zehntelsekunde später vor dem Tisch, und langte mit beiden Händen und begierigen Augen nach dem Kerzenständer. Michel Haila schob das Objekt ihrer Begierde einige Zentimeter weiter zur Tischmitte und damit außerhalb ihrer Reichweite.
Die Kleine stampfte energisch mit dem Fuß auf den Boden und protestierte laut schreiend: »Du bit böte, un Ichad it lieb! Du bit böte, un Ichad it lieb! Du bit böte!«
Simone Schöllen kam angerannt. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm, sprach besänftigend auf sie ein, registrierte unterdessen, dass ihre Knie sich anfühlten, als wären sie aus Pudding, und sie sich unmöglich auch nur einen Schritt damit fortbewegen konnte. Sie redete trotzdem ununterbrochen weiter, sprach von der lieben Paula, die bald ein Mittagsschläfchen halten würde, und davon, wie brav das Kind sei. Doch ihre Tochter ließ sich vorerst nicht beruhigen. Sie sah den Polizisten wütend an, zog eine Schnute und wiederholte laut schluchzend und anhaltend: »Du bit böte, un Ichad it lieb! Du bit böte, un Ichad …!«
Michel war pikiert. »Ich habe lediglich den Kerzenständer in Sicherheit gebracht.«
Dieter musste lachen. Er löste sich von dem imposanten Anblick der kostspielig eingerichteten Freizeitoase und setzte sich auf eine knallrote Le-Corbusier - Liege. Als er bemerkte, dass dieses Möbelstück sich tatsächlich nur zum Liegen eignete, stand er augenblicklich wieder auf, nahm erneut neben Michel auf dem Sofa Platz, musterte Simone Schöllen und sagte: »Ihre Tochter ist ein energisches kleines Persönchen, das unverhohlen seine Meinung äußert. Und sie weiß genau, was sie will. Sie erinnert mich an eine Dame, die ich sehr gut kenne und die auch keinem Streit aus dem Wege geht. Ich stelle fest, Ihre Kleine schwärmt für Ichad, Frau Schöllen. Meinen Kollegen hingegen mag sie nicht besonders. Darf ich fragen, wer Ichad ist?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Simone verlegen, mit hochrotem Kopf und wild pochendem Herzen, und umklammerte mit ihren zitternden Händen Paulas Oberkörper. Paula wehrte sich energisch. Sie strampelte so lange mit ihren Beinen, bis ihre Mutter sie losließ und zurück auf den Boden stellte. Simone versuchte, ruhiger zu werden. Sie wich dem Blick des Blonden aus, der seine Augen nicht von ihr ließ, und steckte ihre schweißnassen Hände verstohlen in ihre Hosentaschen.
»Sie wollten mir verraten, wer Ichad ist, Frau Schöllen«, hakte er freundlich lächelnd nach.
»Ichad geht mit Paula in die Krabbelgruppe. Sie heißt allerdings
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