Der Puppenfänger (German Edition)
einem schwarzen Himmel und erzählten von einem nahe vorbeiziehenden Gewitter. Heide fuhr durch das weit geöffnete Gartentor über die lange, mit Kies bedeckte Einfahrt und parkte ihren Golf auf dem Stellplatz direkt hinter Beates Auto. Der Kater Samstag lag träge auf der obersten Stufe der verklinkerten Eingangstreppe. Daneben stand das Fahrrad, mit dem Beate sich am Donnerstag davongeschlichen hatte. Sie war also höchstwahrscheinlich zu Hause.
Heide stieg aus ihrem Auto und schaute sich misstrauisch um. Obwohl niemand zu sehen war, hatte sie den Eindruck, beobachtet zu werden. Sie ließ ihren Blick langsam über die Hausfront und über die hellen Stores gleiten, die vor den oberen Fenstern hingen, und wurde das Gefühl nicht los, dass ihr jemand zusah. Dabei zeigte nicht einmal der Kater Samstag Interesse an ihrem Erscheinen. Er kam gemächlich auf die Beine, als der Besuch sich ihm näherte, und stahl sich davon, als Heide die Stufen betrat und auf den Klingelknopf drückte. Einen Augenblick meinte sie, durch das Dielenfenster einen Schatten zu sehen, obwohl sie aus dem Inneren des Hauses kein Geräusch hörte.
Sie klingelte ein weiteres Mal, wartete eine Weile ab, sah sich erneut um, drückte ihr Ohr an die eingesetzte Spiegelscheibe der hölzernen Tür und lauschte. Als ein leichtes Poltern sie vermuten ließ, jemand stände direkt dahinter, wurde sie zornig. Die Vorstellung, dass Beate ihr aus reinem Eigennutz mehrere Stunden Nachtschlaf geraubt hatte und ihr jetzt wie einem Hausierer den Eintritt verwehrte, trieb ihr die Zornesröte in die Wangen. Sie startete einen dritten Versuch, hielt den Klingelknopf dieses Mal nach unten gedrückt, begann zu zählen und beschloss, den Klingelterror erst bei der Zahl Fünfzig abzubrechen.
Als Heide bei einundzwanzig angelangt war, öffnete sich die Tür. Obwohl sie mit Beates Anwesenheit gerechnet hatte, traf das plötzliche Erscheinen ihrer ehemaligen Kommilitonin sie überraschend und verschlug ihr einen Moment lang die Sprache. Sie brach die Klingel-Attacke ab und starrte verblüfft in Beates Gesicht. Mit dem fleckig roten Teint, dem verzerrten Mund und den strähnigen, ungewaschenen Haaren wirkte ihre Bekannte wie eine Furie. Sie trug wieder ihre braune Jogginghose und den ausgewaschenen dunkelblauen Pullover, hatte beide Hände in die Hüften gestützt und blickte Heide an, als stände eine Fremde vor ihr.
»Ich fühle mich schlecht, Heide. Vielleicht werde ich krank. Ich bin nicht in der Verfassung, mich mit dir zu unterhalten. Möchtest du, dass ich dir einen Abschlag auf dein Honorar zahle?«
Heide setzte einen Fuß zwischen Tür und Türrahmen, blieb aber auf dem Treppenabsatz stehen. »Du weißt, dass es mir nicht darum geht. Ich habe eine Frage. Sie betrifft Alexandra Rosenbring.«
»Kenne ich nicht. Wie gesagt, im Moment passt es mir nicht!«
»Du hast mich beauftragt, nach Gerald Schöllen zu suchen. Ich habe mich nicht darum gerissen, dir diesen Gefallen zu tun.«
»Ja! Ich habe dich danach gefragt … Das … das habe ich. Doch ich habe jede Hoffnung verloren. Du kannst Simone nicht helfen«, stammelte Beate.
Sie drehte Heide den Rücken zu und ging ins Wohnzimmer. Dort warf sie sich bäuchlings auf das Sofa, drückte ihr Gesicht in ein Kissen und schluchzte herzzerreißend. Heide setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. Gab es Informationen über Schöllens Verschwinden? Aber warum hatte Dieter sie nicht darüber informiert? Miss Marple hatte genügend zu essen bekommen und war empfangsbereit. Das wusste sie sicher, weil sie erst vor einer halben Stunde mit Helen telefoniert hatte, überlegte Heide und ließ den Morgen Revue passieren. Dieter und sie hatten gemeinsam in seiner Wohnung in Nordhorn gefrühstückt und sich dabei ausführlich über die Familie Wanner unterhalten. Er hatte ihr erzählt, dass er Richard Wanner gleich morgens, gemeinsam mit Michel Haila, befragen wollte. Er hatte auch gesagt, dass er und sein Kollege gegen sieben Uhr an der Alten Kirche am Markt verabredet waren. Sie und Dieter hatten die Wohnung gemeinsam verlassen. Er war zum verabredeten Treffpunkt gegangen, und sie war nach Holte gefahren.
»Gibt es Neuigkeiten, von denen ich nichts weiß, Beate?« Verzweifeltes Wimmern und einige trockene Schluchzer waren Beates einzige Antwort.
»Ich hole dir ein Glas Wasser und eine Kopfschmerztablette«, beschloss Heide. Sie ging in die Küche und stellte augenblicklich fest, dass der Raum sich in einem noch beklagenswerteren
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