Der Puppenfänger (German Edition)
Zustand befand als am Freitagmorgen. Achselzuckend ließ sie kaltes Wasser aus dem Hahn laufen, bis sie endlich ein sauberes Glas fand und es füllte. Dann suchte sie ein freies Plätzchen auf dem vollgemüllten Küchentisch, stellte ihre Handtasche ab und nahm eine Kopfschmerztablette aus ihrem Kosmetiketui. Einen kurzen Moment überlegte sie, Dieter anzurufen, um sich bei ihm nach Schöllen zu erkundigen. Sie war zwar mit ihm beim Italiener in Nordhorn zum Mittagessen verabredet, aber die Frage, ob im Fall Schöllen etwas Gravierendes geschehen war, brannte ihr unter den Nägeln. Nichtsdestotrotz würde sie ihre Neugierde bis zum Mittag zügeln.
»Was wird nur aus Simone und den Kindern, wenn Gerald nicht zurückkommt?«, schluchzte Beate.
»Wie kommst du darauf, dass Schöllen nicht zurückkommt?«, fragte Heide, nachdem Beate ihren Weinkrampf mit einem lauten Abschlussseufzer beendet hatte, von der liegenden in die sitzende Position gekommen war, den Kopf gehoben hatte und sie aus einem bemitleidenswert zerknitterten Gesicht ansah.
»Ich habe Angst. Seit Simone mir erzählt hat, dass Gunnar Laxhoff erschossen wurde, komme ich nicht zur Ruhe. Könnte es nicht sein, dass Gerald auch tot ist?«
Heide schwieg. Diese Frage wollte und konnte sie nicht beantworten. Sie war vor dem geplanten Friedhofsbesuch nur bei Beate vorbeigekommen, weil sie die Hoffnung gehabt hatte, mehr über Alexandra Rosenbring zu erfahren und damit auch etwas über den Grabschmuck. »Würdest du mir bitte etwas über Alexandra Rosenbring erzählen?«
Beates Gesicht rötete sich. »Ich kenne keine Alexandra Rosenbring.«
Heide ging zurück in die Küche und holte ihre Handtasche. »Ich habe dieses Foto in der Dunkelkammer deines Vaters gefunden«, klärte sie Beate auf und hielt ihr das Foto hin, auf dem sie mit Alexandra abgebildet waren.
»Du hast geschnüffelt«, empörte Beate sich.
»Ich habe nicht geschnüffelt«, widersprach Heide energisch. »Auf der Suche nach dem Badezimmer bin ich zufällig in die Dunkelkammer deines Vaters geraten. Was du übrigens hättest vermeiden können, wärest du an dem besagten Abend nicht sang- und klanglos verschwunden und hättest mich allein gelassen. Die Aufnahmen sind mir sofort aufgefallen. Dein Vater hat dich früher sehr oft zusammen mit Alexandra fotografiert.«
»Wir waren mal befreundet, aber sie hat mich verraten«, entfuhr es Beate.
»Was meinst du, wenn du sagst, sie habe dich verraten?«
»Darüber will ich nicht sprechen!«
»Woran ist Alexandra Rosenbring gestorben? War sie krank?«
Beate zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Sie war eine falsche Schlange. Ich wollte schon viele Jahre vor ihrem Tod nichts mehr mit ihr zu tun haben.«
Beate nahm eine Cognac-Karaffe und zwei von mehreren Gläsern, die ihren Platz auf einem Teewagen gehabt hatten. Sie stellte den Cognac-Schwenker vor sich auf den Tisch, schenkte großzügig ein und hielt Heide ein volles Glas hin.
Heide ignorierte den angebotenen Cognac und stellte fest: »Du willst nicht über Alexandra Rosenbring sprechen.«
Beate schüttete den Alkohol in einem Zug herunter, ehe sie antwortete: »Nein! Will ich nicht, weil ich nichts über sie zu sagen habe.«
Heide griff nach ihrer Handtasche und verließ den Wohnraum. Im Türrahmen blieb sie stehen, wandte sich um und betrachtete Beate, die jetzt das andere Glas ansetzte. »Ich glaube dir nicht, Beate. Du weißt etwas, aber du willst es mir nicht sagen. Was hat Alexandra dir angetan, dass du nicht mit mir über sie reden willst?«
*
Der beigefarbene Peugeot fiel Heide sofort auf, als sie vor dem Friedhof in Holte parkte. Gleich darauf sah sie auch die Besitzerin des Fahrzeugs. Marianne Wanner stand vor einem Container, in dem Grünabfälle gesammelt wurden, und warf dunkelgrünes Papier hinein, ehe sie mit raschen Schritten und gesenktem Kopf an Heide vorbeilief, ohne sie wahrzunehmen. Heide nahm den direkten Weg zu Alexandra Rosenbrings Grab, setzte sich wieder auf die schmiedeeiserne Bank und musterte die Grabstätte vor sich. Das bedruckte Schleifenband lag fast genau so, wie Dieter es drapiert hatte, die Schrift dem Betrachter zugewandt. Doch es war jetzt an einem üppigen Strauß roter Rosen befestigt, der in einer Vase stand. Beim Anblick der frischen Blumen überlegte Heide, ob sie in dem dunkelgrünen Papier transportiert worden waren, das Marianne Wanner soeben entsorgt hatte. Das Gefühl, beobachtet zu werden, das sie schon beschlichen hatte, als sie sich auf
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