Der Puppenfänger (German Edition)
einem üppig ausgestatteten Spielplatz ähnelte. Marianne Wanner betrat den Raum. Sie sah erst Dieter, anschließend Michel aus großen Augen erschrocken an, zog die Schultern hoch und steckte ihre Hände in die Taschen eines wadenlangen Strickkleides. Sie wirkte schutzbedürftig und hilflos. Ihr Freund ging zu ihr, legte einen Arm um ihre Taille und stellte erst Dieter, anschließend Michel vor. Die Frau nickte, machte aber keine Anstalten, ihrem Besuch die Hand zu reichen. Dieter, der aufgestanden war, setzte sich wieder in den Sessel und schlug die Beine übereinander.
»Die Herren möchten wissen, womit wir uns am Montag, dem 11. April beschäftigt haben.«
»Dr. Heidmann, mein Sohn Richard und ich haben das ganze Wochenende, einschließlich Montag, aufgeräumt«, murmelte Marianne. »Ich habe beschlossen, das Haus zu verkaufen. Deswegen gibt es einiges zu organisieren. Der alte Plunder steht jetzt in der Garage, damit er zum Sperrmüll gebracht werden kann.« Sie räusperte sich und fragte: »Warum möchten Sie das wissen? Verdächtigen Sie meinen Sohn? Denken Sie, er hat mit Schöllens Verschwinden zu tun? Das ist lächerlich!«
Michel musterte Marianne Wanner, während er an Jenny und Barbara dachte. Er fand, dass sie entsetzlich abgespannt und müde aussah und auf eine sehr anrührende Weise niedergeschlagen wirkte. Vielleicht beruhte dieser Eindruck aber auch nur auf seiner eigenen Einbildungskraft. Schließlich fühlte er sich der Familie Wanner durch ein ähnliches Schicksal verbunden.
»Mein Sohn hat Ihnen bestimmt erzählt, dass er gemeinsam mit Simone und ihren Kindern ausreisen wird. Ich möchte Sie bitten, diese Information für sich zu behalten.« Ihre Stimme klang zittrig. Sie nahm die Hände aus den Taschen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Warum, Frau Wanner? Warum möchten Sie das?«, fragte Michel sanft, in einer Tonart, die sich von der, die er gewöhnlich während einer Befragung anschlug, deutlich unterschied. Er erntete dafür von Dieter einen überraschten Blick, ehe dieser aufstand und sich neben ihn stellte.
»Richard war keine drei Jahre alt, als sein Vater starb«, erklärte sie. »Ich habe ihn allein großgezogen, und diese Aufgabe hat mich am Leben erhalten. Als meine Schwiegertochter und meine Enkelkinder tödlich verunglückten, hatte ich eine entsetzliche Angst, Richard könne sich etwas antun. Ich dachte, dass er niemanden mehr hatte, für den es sich lohnte, weiterzuleben. Aber seitdem Simone und er sich gefunden haben, weiß ich, dass es auch für ihn eine Zukunft geben kann, und dafür bin ich sehr dankbar.« Marianne Wanner räusperte sich und atmete tief ein, ehe sie fortfuhr: »Die beiden haben ihr Verhältnis geheim gehalten. Auch Beate Buttenstett weiß bis heute nicht, dass sie gemeinsam mit den Kindern das Land verlassen werden.«
»Wie darf ich das verstehen?«, fragte Michel.
»Beate wäre niemals mit dem Umzug ihrer Schwester einverstanden. Und auch nicht damit, dass Simone und Richard ein Paar sind«, erwiderte Volker Heidmann.
»Beate und Richard kennen sich bereits seit langem. Sie waren während ihrer Jugend für eine sehr kurze Zeit etwas enger miteinander befreundet. Richard hat diese Freundschaft nach wenigen Wochen beendet. Das hat Beate ihm bis heute nicht verzeihen können«, erklärte Frau Wanner.
»Verschmähte Liebe«, fasste Dieter zusammen und musste lächeln.
»Ja«, stimmte Marianne zu. »So nennt man das wohl.«
»Ich war bisher der Ansicht, Frau Buttenstett und Frau Schöllen hätten ein sehr gutes, vertrauensvolles Verhältnis zueinander«, sagte Dieter verwundert und nahm sich vor, noch einmal mit Heide über die Schwestern zu reden. Er führte sich die Traueranzeige vor Augen, die Martha Holtmanns ihm gezeigt hatte. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass Marianne Wanner, die ihren Anteil an der Hölle auf Erden bereits durchlebt hatte, ihn anlog und Theater spielte.
»Können Sie mir sagen, wie es zu dem Unfall kam, bei dem Ihre Schwiegertochter und Ihre Enkelkinder starben, Frau Wanner?«, fragte Michel.
Marianne war kreidebleich geworden. »Christina ist mit dem Wagen von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt.«
»Es gab eine Zeugin, die behauptete, ein weiteres Fahrzeug sei in den Unfall verwickelt gewesen«, erklärte Heidmann. »Sie sagte aus, dieses Auto habe Christinas Wagen von der Fahrbahn gedrängt, doch letztendlich gab es dafür keinerlei Beweise. Ich denke heute, die Kinder haben Christina
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