Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
Stunde mit Winnie Pu konnte ihre Laune verbessern, und als sie zu Bett ging, war sie immer noch sauer auf Kincaid. Sie war froh, Geordies warmen Körper als Barriere zwischen sich und ihm zu haben, und sie fragte sich insgeheim, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, Arbeit und Privatleben miteinander zu verbinden.
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Seit Mitte der sechziger Jahre gehörte die Portobello Road zu den touristischen Sehenswürdigkeiten Londons. Die Antiquitätenstände hatten in den Fünfzigern die Auf merksamkeit der Illustrierten geweckt. 1966 schilderte der Reader’s Digest bereits in schillernden Farben die günsti gen Angebote, die in der Portobello Road zu finden sei en, und behauptete, dass sich dort jeden Samstag »20.000 potenzielle Käufer, Antiquitätenhändler und Einkäufer amerikanischer Einrichtungshäuser« versammelten.
Whetlor und Bartlett, aus: Portobello
Als der Frühling 1968 kam, betrachtete Angel das Mädchen, das Karl in seinem Laden eingestellt hatte, schon längst als Freundin und nicht mehr als Rivalin. Sie hieß Nina Byatt, war verheiratet und hatte einen kleinen Sohn. Ninas Mann Neil, ein wortkarger Zeitgenosse mit einem Vollbart, arbeitete inzwischen auch für Karl und transportierte ausgewählte Artikel zu den großen Auktionshäusern.
In jenen Tagen führte Karl neben den traditionellen Antiquitäten auch mehr und mehr indische und orientalische Artikel, um das neu erwachte Interesse an Meditation und exotischen Kulturen zu bedienen.
Das Geschäft ging gut, wie alles, was Karl anpackte. Sie zogen aus der Wohnung in Chelsea in ein Stadthaus in Belgravia, am Chester Square – eine exklusive Adresse, die seinem gestiegenen Status angemessen schien. Doch Angel fand das strenge, graue Backsteinhaus wenig einladend, die Gegend kalt und unfreundlich im Vergleich mit ihrer
kleinen Seitenstraße in Chelsea. Und es passte auch nicht zu den Landhausmöbeln, nach denen ihr neuerdings der Sinn stand.
Nicht dass es irgendeine Rolle gespielt hätte, was sie dachte – Karl hatte immer öfter ausländische Kunden zu Gast, und ihre winzige Wohnung in Chelsea war für derartige Anlässe nicht geeignet gewesen.
Diese Kunden sprachen gewöhnlich deutsch. Über seine deutsche Verwandtschaft hatte Karl eine Quelle aufgetan, von der er russische Kunstgegenstände, insbesondere Ikonen, bezog, die deutsche Soldaten während des Krieges hatten »mitgehen lassen«. Karl organisierte den Transport der Ware nach England, und Neil verkaufte sie anschließend äußerst gewinnbringend bei Auktionen.
Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie einmal eine dieser Ikonen zu Gesicht bekommen hatte, bevor sie versteigert wurden, hatte Angel sie als ungeheuer ergreifend empfunden. Die traurigen Gesichter der Heiligen und die kostbaren Farben erinnerten sie an die Bilder, die sie als Kind in dem polnischen Café gesehen hatte. Sie wusste inzwischen sehr wohl, dass diese Bilder nur billige Reproduktionen gewesen waren, aber damals hatten sie ehrfürchtiges Staunen in ihr hervorgerufen. Staunen war damals noch möglich gewesen, und die Welt war ein Ort gewesen, wo die Guten belohnt und die Bösen für ihre Verfehlungen bestraft wurden.
Karl hatte ihr jedenfalls bewiesen, dass das nichts als leeres Moralgeschwätz war.
Angel war inzwischen endgültig heroinabhängig, und so sah Karl keinen Grund, seine anderen Geschäfte vor ihr geheim zu halten. Der kleine Vorrat, den er immer im Haus hatte, war nur die Spitze des Eisbergs. Und er kaufte das Zeug auch nicht nur für den gelegentlichen Bedarf seiner Freunde – er kaufte, um zu verkaufen; in großen Mengen und mit enormem Profit. Dieses Geld steckte er wiederum in das Antiquitätengeschäft; es verhalf ihm zu dem Warenbestand, der es zu einem erfolgreichen Unternehmen werden ließ. Geld zeugte Geld, und wenn dabei ein paar arme Seelen auf der Strecke blieben, brauchte ihn das nicht weiter zu interessieren.
Und was Angel betraf – nun, wenn sie ihm nicht zu Willen war oder ihm in irgendeiner Weise die Stirn bot, dann schnitt er ihr einfach den Nachschub ab, bis sie sich fügte. Die längste Zeit, die sie es je ausgehalten hatte, waren zwei Tage gewesen, doch am Ende hatte ihre Willenskraft gegen ihre Sucht keine Chance gehabt.
Danach hatte sie ihren Konsum streng zu reglementieren versucht und sich geweigert, die Dosis zu erhöhen; am Ende aber war sie zu der bitteren Erkenntnis gelangt, dass sie nicht entkommen konnte – weder der Droge noch ihm. Und sie hatte
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