Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
Erkundigungen über Dunn einzogen, auch hier nachgefragt haben mussten, doch sie wollte selbst hören, was Wesley zu sagen hatte.
Wesley schüttelte den Kopf, und seine lebhaften Gesichtszüge drückten Besorgnis aus. »Man könnte denken, der Mann ist in einem riesigen schwarzen Loch verschwunden. Kein Mensch hat irgendwas von ihm gehört. Glauben Sie denn – er würde doch nicht – er war ja wirklich total fertig …«
»Ich würde mir mehr Sorgen machen, wenn er nicht seine Wohnung zusammen mit Fern Adams verlassen hätte. Wir haben einen Zeugen, der die beiden gesehen hat. Ich würde jetzt wirklich gerne mit Fern Adams sprechen. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«
»Sie wohnt in Portobello Court. Ich habe die Wohnungsnummer vergessen, aber ich kann Ihnen sagen, wo es ist.« Er gab Gemma eine genaue Wegbeschreibung. »Verstehen Sie mich nicht falsch«, fügte er hinzu. »Der Mord an Mrs. Arrowood ist eine ganz schlimme Sache, aber ich habe sie ja gar
nicht gekannt. Wenn Alex oder Fern irgendwas zugestoßen wäre … sie sind wie meine Familie.«
»Haben Sie selbst eine Familie?«
»Nur meine Mutter.« Wesley strahlte über das ganze Gesicht. »Sie wohnt drüben in Westbourne Park.« Mit ernsterer Miene fuhr er fort: »Mein Vater ist jetzt schon einige Jahre tot. Herzinfarkt.«
»Sie wohnen bei Ihrer Mutter?«
»Kann mir gar nichts anderes leisten – Sie wissen ja, wie es ist«, antwortete Wesley gleichmütig. »Aber selbst wenn ich es mir leisten könnte, anderswo zu wohnen, würde ich sie nicht gerne allein lassen. Ist’ne gute Frau, meine Mutter.«
Gemma verabschiedete sich und ging nachdenklich die Straße entlang in Richtung Portobello Court. Würden ihre Kinder sich auch solche Gedanken um sie machen, wenn sie einmal groß waren?
Portobello Court war der erste moderne Wohnblock, den die Stadt nach dem Krieg hochgezogen hatte, ausgestattet mit so begehrten Extras wie fließendem Wasser und separaten Küchen. Gemma wusste, dass viele der Wohnungen seit den fünfziger Jahren ununterbrochen von denselben Familien bewohnt wurden.
Sie folgte Wesleys Wegbeschreibung und stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sie an eine Tür klopfte, in der Hoffnung, dass es die richtige war. Auf der anderen Seite des Korridors wurde eine Tür geöffnet; eine ältere Dame steckte den Kopf heraus und sah Gemma kopfschüttelnd an.
»Sie wollen zu diesem Mädchen? Ringe in der Nase und weiß Gott wo sonst noch. Wo soll das alles bloß enden?«
»Wissen Sie, wo sie ist?«
»Verkriecht sich schon seit Tagen in ihrer Wohnung, soweit ich weiß. Keine Ahnung, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen will, wenn sie nicht rausgeht und die Dörfer abklappert.
Wenn man Geschäfte machen will, kommt man da einfach nicht drum herum. Mein Mann war auch im Antiquitätengeschäft, hatte einen Stand direkt neben ihrem Papa.«
Da sie jetzt einigermaßen sicher war, dass Fern Adams zu Hause war, klopfte Gemma noch einmal an, lauter als beim ersten Mal. Und jetzt endlich hörte sie schlurfende Schritte und dann das Klicken des Riegels.
Die junge Frau, die in der Tür stand und sie anstarrte, hatte tatsächlich einen Ring in der Nase und einen weiteren in der Augenbraue, doch ihr kleines, blasses Gesicht war ungeschminkt, und die bunt gefärbten Strähnen ihres Haars sahen stumpf und vernachlässigt aus.
»Miss Adams? Ich würde mich gerne mit Ihnen über Alex Dunn unterhalten.«
»Was ist mit ihm?« Der Anblick von Gemmas Dienstausweis hatte Fern nicht dazu bewegen können, die Tür weiter aufzumachen.
»Wissen Sie zufällig, wo er sich aufhält?«
»Woher soll ich das wissen?«
Die Tür der Wohnung gegenüber öffnete sich knarrend um ein paar Zentimeter.
»Ob ich vielleicht reinkommen könnte?« Gemma warf einen viel sagenden Blick in die Richtung der offensichtlich lauschenden Nachbarin.
»Ja, sicher. Alte Hexe«, setzte Fern halblaut hinzu, bevor sie einen Schritt zur Seite trat und Gemma einließ. Auf dem beschränkten Raum drängten sich Kartons und Möbelstücke ohne jede erkennbare Ordnung. Gemma erblickte eine Reihe von Mahagonistühlen, die zur Wand hin gedreht waren; ein dazu passendes Sofa schmiegte sich mit der Rückenlehne an einen Fernsehapparat; Beistelltische standen verloren zwischen Lampen und Bildern umher. Ein Blick durch die gläserne Balkontür bot auch keine attraktiveren Aussichten – ein
paar Topfpflanzen, die die Köpfe hängen ließen, standen unter einer provisorischen Wäscheleine, an
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