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Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None

Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None

Titel: Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Wohnhäusern.
    Charlie Phillips und Mike Phillips, aus:
Notting Hill in den Sechzigern
     
     
    Sie sah zu, wie ihre Mutter immer mehr dahinsiechte, Tag um Tag, Monat um Monat. Die Röntgenaufnahmen des Arztes hatten einen Tumor im vorderen Teil ihres Gehirns erkennen lassen, der in die Nasenhöhle hineinwuchs. Eine operative Entfernung hielt man für ausgeschlossen. Es gab natürlich Medikamente, die das Wachstum des Tumors verlangsamen sollten, doch da sie bei ihrer Mutter heftigste Nebenwirkungen auslösten und dem Tumor anscheinend nichts anhaben konnten, wurden sie rasch wieder abgesetzt.
    Trotz allem weigerte sich ihr Vater, die Hoffnung aufzugeben. »Vielleicht geht es ihr heute schon etwas besser«, pflegte er jeden Morgen
zu sagen, noch lange, nachdem Angel bereits wusste, dass die einzige mögliche Verbesserung des Zustands ihrer Mutter der Tod war.
    Sie versah klaglos den notwendigen Dienst am Krankenbett, obwohl sie ihn verabscheute. Sie hasste das dunkle Bett, die düsteren braunrosa Tapeten, den Geruch der Krankheit und die stille Ergebenheit ihrer Mutter. Vor allem aber hasste sie ihre Mutter. Wie konnte ihre Mutter sie einfach so verlassen? Liebte sie sie denn gar nicht mehr? Hatte der Abschied von ihrem einzigen Kind nicht ein bisschen mehr Dramatik verdient? Konnte sie nicht wenigstens mit Gott hadern wegen ihres Schicksals?
    Aber ihre Mutter lächelte immer nur ihr mildes Lächeln, fiel immer wieder in ihren Morphiumschlaf, und wenn sie anfing, sich über die Schmerzen zu beklagen, erhöhten die Ärzte gleich die Dosis.
    Der Tumor wuchs unerbittlich weiter, und ihr Gesicht begann sich zu verformen wie eine Maske aus Plastik, die zu nahe am Feuer gestanden hat. Das eine Auge rutschte nach unten und kippte seitwärts, ihre Nase war verdreht, ihre Stirn unnatürlich gewölbt. Die Schmerzen wurden jetzt immer schlimmer, bei der leisesten Berührung schrie sie laut auf, und Angel brachte es kaum noch fertig, sie zu baden.
    Und dann kam der Tag, an dem das geschädigte Auge sie nur noch leer anstarrte, ohne ein Zeichen des Wiedererkennens, und die einzige Antwort auf Angels drängende Fragen ein leises, unausgesetztes Stöhnen war.
    Angel flüchtete nach nebenan, in Mrs. Thomas’ tröstende Umarmung. Als ihr Schluchzen sich ein wenig gelegt hatte, wollte sie wissen: »Ist sie noch irgendwo da drin? Oder ist es so, dass ihre Seele schon zu Gott geflogen ist und ihr Körper nur noch wartet?«
    »Ich weiß es nicht, mein Kind«, antwortete Mrs. Thomas und wischte sich selbst mit dem Schürzenzipfel die Tränen aus den Augen. »Ich denke, sie ist irgendwo dazwischen. Sie hängt noch an ihrem armen geschundenen Körper, aber sie greift schon nach dem Jenseits.«
    »Aber kann sie mich hören?«

    »Ich vermute, sie kann dich schon hören, nur hat sie nicht mehr die Kraft, dir zu antworten. Also sprich nur weiter mit ihr, Kind; sag ihr, dass du sie liebst und dass alles gut werden wird.«
    Und Angel ging wieder nach Hause, fest entschlossen, den Rat zu befolgen; doch so sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, diese Worte zu dem fremden Wesen zu sagen, in das ihre Mutter sich verwandelt hatte. Sie saß schweigend da, und allmählich beschlich sie die Angst, dass Gott ihre Zunge ebenso hatte erstarren lassen wie ihr Herz. Als ihr Vater endlich nach Hause kam, hatte sie schon so lange reglos in derselben Stellung verharrt, dass ihre Arme und Beine ihr den Gehorsam verweigerten. Ihr Vater musste sie in die Arme nehmen und wie ein Baby aus dem Zimmer tragen.
    Danach dauerte es nicht mehr lange, bis das Ende kam, und an einem bitterkalten Tag im Januar ging Angel mit dem Trauerzug nach Kensal Green. Es war der kälteste Winter seit Menschengedenken; schwarzer, schmutziger Schnee lag in den Rinnsteinen, und Angels Handgelenke und Knie waren blau vor Kälte. Sie war längst aus ihrem Wintermantel herausgewachsen, doch niemand hatte darauf geachtet, und es gab niemanden, der mit ihr einen neuen gekauft hätte.
    Die Thomasens waren in ihrem besten Sonntagsstaat erschienen, standen jedoch ein wenig abseits; und auch einige Freunde ihres Vaters vom Antiquitätenmarkt und vom Café waren gekommen. Die Trauerfeier war notgedrungen kurz, und zum Weinen war es einfach zu kalt. Ihr Vater hatte eine provisorische Tafel gezimmert, weil die Bearbeitung des Granitsteins mehrere Monate in Anspruch nehmen würde. »Miriam Wolowski«, stand auf der Tafel, »Entschlafen am 9. Januar 1963«. Angel stellte fest, dass auf

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