Der Rache Suesser Klang
dass er noch weitere Blessuren hatte, die man unter der Gefängniskleidung nicht sah. Er hatte keine bestimmten Anweisungen gegeben. Lewis hatte eine Abreibung bekommen sollen, aber nicht so sehr, dass man ihn ins Krankenhaus einliefern musste.
Der Junge setzte sich steif auf den Stuhl gegenüber, sein Gesicht nichts als stoische Akzeptanz. »Sie ist in Chicago«, sagte er ohne Einleitung.
»Warum?«
»Sie hat einen Jungen bei sich. Er heißt Alexander Vaughn.«
Die Verbindung. Den Vaughns gehörte das Strandhaus, in dessen Schuppen die Leiche gefunden worden war. Sie hatte ihr Kind entführt. Nun musste er nur noch herausfinden, was die Vaughns mit der alten Frau verband, die er für Sue in Florida aufgespürt hatte. Die Frau, die Sue getötet hatte. »Wie hoch ist die Lösegeldforderung?«
»Eine Million.«
»Und dein Anteil?«
»Die Hälfte.«
James lachte. »Wer’s glaubt … Sie gibt dir nie im Leben die Hälfte ab. Wo in Chicago ist sie untergeschlüpft?«
»Sie wollte zum Haus meines Onkels.«
»Unmöglich. Das Haus ist vollkommen abgebrannt. Dumm, wenn man schlechte Angewohnheiten hat und im Bett raucht.«
»Aber sie waren doch unschuldige alte Leute«, sagte Lewis heiser.
»Wieso?«
Lewis’ Augen füllten sich mit Tränen, und James stand auf. »Aus demselben Grund, warum deine Schwester eine Alte in Florida und den Kerl im Schuppen kaltgemacht hat. Sie kann es einfach, und ich kann es auch.«
Sue war also mit einem Kind in Chicago. Sie würde durchdrehen, wenn sie zu lange untertauchen musste. Und wenn sie den Kopf aus dem Loch steckte, würde er schon auf sie warten. Er sah auf die Uhr. Er konnte vor dem Abendessen in Chicago sein.
Chicago
Mittwoch, 4. August, 10.00 Uhr
Evie saß da und starrte auf den Beutel Kokain auf dem Küchentisch. Erik hatte ihn ihr gebracht, ohne ein Wort zu sagen, aber seine Augen waren klar und wach. Wachsam. Als wartete er ab, was sie als Nächstes tun würde. Sie hatte sofort Dana angerufen. Auf dem neuen Handy, das man ihr geschenkt hatte. Aber wieder klingelte es nur, ohne dass jemand dranging. Sie versuchte es wieder, aber auch dieses Mal hörte sie nur die vorgesprochene Nachricht, die vom Anbieter mitgeliefert wurde. Sie hatte inzwischen drei Nachrichten hinterlassen. Hatte Dana dreimal über den Pager zu kontaktieren versucht.
Anschließend hatte sie versucht, Mia zu erreichen, aber sie war außer Dienst und auch nicht auf Abruf. Ob sie eine Nachricht hinterlassen wolle?, hatte die Vermittlung bei der Polizei gefragt. Nein, wollte sie nicht. Caroline konnte sie nicht anrufen. Sie durfte sich nicht aufregen, und Evie war ziemlich sicher, dass bei Caroline mindestens die Wehen einsetzen würden, wenn sie hiervon erfuhr. Das Wichtigste war jetzt, Erik aus Hanover House zu schaffen und irgendwo unterzubringen, wo er sicher war. Evie rieb sich die Stirn. Wenn sie nur gewusst hätte, was sie tun sollte.
Und dann fiel ihr die Frau vom Amt für Familienförderung ein, die manchmal mit Dana zusammenarbeitete. Dana vertraute ihr. Ihr Name war Sandra Stone.
Dieses Mal hatte Evie Glück und drang sofort zur gewünschten Person durch. Wenn das nicht Schicksal war. »Miss Stone, ich bin Evie Wilson. Ich arbeite mit Dana Dupinsky.«
Eine kurze Pause entstand, dann: »Was kann ich für Sie tun, Miss Wilson?«
Evie warf Erik einen Blick zu, der sie mit seinen riesigen, ernsten Augen in dem hageren Gesicht ansah. Sie schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie hoffte, dass es aufmunternd war, und sah zu, wie er in das Erdnussbutterbrot, das sie ihm gemacht hatte, biss. »Ich habe hier ein Problem, Miss Stone, und ich hoffe, Sie können mir helfen.«
Chicago
Mittwoch, 4. August, 10.45 Uhr
Ethan legte gerade das nächste Überwachungsvideo ein, als sein Handy in seiner Hosentasche vibrierte. Er hatte Clay sofort nach der Entdeckung des Buchs über Zeichensprache angerufen, aber nur die Mailbox erwischt. Endlich rief sein Partner zurück.
Ohne sich mit überflüssigen Grüßen aufzuhalten, fuhr Ethan ihn an: »Wo bist du gewesen?«
»Ich hatte ein bisschen zu tun.« Clays Stimme klang gepresst. »Wir haben also endlich was?«
»Endlich, ja. Gestern hat sie in dem Buchladen ein Buch ohne Handschuhe angefasst. Ich denke, wir sollten jedes Exemplar aus dem Laden kaufen und die Abdrücke nehmen. Wir wissen nämlich auch, dass sie gesessen hat.«
»Woher weißt du das?«, fragte Clay, seltsam distanziert. Beinahe ungerührt.
Ethan runzelte die Stirn. Da stimmte etwas
Weitere Kostenlose Bücher