Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
denen sie verkündeten, dass er nackt sicherlich umwerfend aussah. Seine Popularität wuchs. Genau wie die Popularität des derzeitigen französischen Präsidenten.
***
Wann immer möglich war der Teufel in New York, am Bett von Memory. Zuerst hoffte er noch, sie würde aufwachen. Als das nicht geschah, blieb er trotzdem an ihrem Bett. Er gestattete sich selbst nicht die Frage nach dem Grund dafür.
Schuldgefühle? Liebe? Er wagte nicht darüber nachzudenken. Wagte nicht, an ihre Stimme zu denken oder an ihre Augen. Oder an die tiefe Zufriedenheit, wenn er sie vor dem Fernseher auf der Couch gehalten hatte, das eigentümlich menschliche Gefühl, dass sie die Seine war.
Er war nicht der Einzige, der über sie wachte.
Gleich nach dem Einsturz der Twin Towers war das Interesse der Medien neu erwacht. Memory Jones! Der ehemalige Rockstar, Fernsehstar, die Internetsensation, forever young, forever Woodstock, einer von mehreren berühmten Namen im World Trade Center an jenem Tag. Das Interesse war rasch verflogen, doch jetzt, nach einem Jahr, waren sie zurück.
Eine Prominente im Koma war eine Sache.
Eine Prominente im Koma, die nicht wieder erwachte, war eine ganz andere. Eine unendliche Geschichte, die sich beliebig oft aufwärmen ließ.
Die Verkäufe der Purple-Airplane- CD s brachen alle Rekorde. Memorys Bild tauchte auf T-Shirts auf, zusammen mit einem verträumten, psychedelischen Halo und Xen über ihren Augen. Sie wurde zu einer Kultfigur. Junge Menschen, die ein planloses Leben führten und nichts Besseres zu tun hatten, reisten nach New York und versuchten, sich in Memorys Zimmer zu schleichen.
Schließlich startete im Fernsehen und im Internet ein Koma-Channel. Eine Live-Kamera sendete ununterbrochen Bilder aus Memorys Krankenzimmer. In der rechten unteren Ecke lief eine Uhr, auf der die Monate und Tage und Stunden und Minuten und Sekunden abzulesen waren, die Memory Jones bereits im Koma lag.
Meinetwegen , dachte der Teufel halb im Schlaf und außerhalb des Aufnahmewinkels der Kamera. Solange es die Massen ablenkt .
***
Monate vergingen, und ein neuer Krieg nahm seinen Lauf.
Ein Krieg, für den es überhaupt keinen vernünftigen Grund gab, der einzig und allein auf Gerüchten und Lügen basierte – und niemand protestierte sonderlich laut.
Inzwischen gab es auch eine ganz neue Art von Satellitenfernsehen mit derart vielen Kanälen, dass die Leute kaum noch geradeaus sehen konnten. Der Krieg war nur eine von vielen Wahlmöglichkeiten im Fernsehen.
Kochsendungen waren in jenem Jahr schwer angesagt, keine Frage.
34
»Schon wieder dieser
Präsident-von-Frankreich-Typ!«
Los Angeles, Frühling 2003
Der Prominews-Channel war die Idee des Teufels gewesen.
Wenn die Fernsehleute besessen waren von Memory in ihrem Koma, überlegte er, dann waren sie sicher noch mehr besessen von Prominenten, die wach waren und nicht im Koma.
»Die Leute werden aufmerksam, sobald es Nachrichten über Prominente gibt«, flüsterte er einem Studiochef ins Ohr.
»Ah?«, machte der Studiochef.
»Prominente sind keine Bedrohung, verstehen Sie, weil sie das Leben der Menschen in keiner Weise beeinflussen. Prominente können verhaftet werden, Wohltätigkeitsorganisationen gründen, Paparazzi verprügeln, sich nackt und betrunken in der Öffentlichkeit zeigen, und im Leben des Einzelnen ändert sich nicht das Geringste.«
»Scheiße, ja, das stimmt!«, krähte der Studiochef.
So wurde der Prominews-Channel geboren.
***
Einer der ersten Sendebeiträge des Prominews-Channels beschäftigte sich mit John Scratch. »Seht nur!«, sagten die Zuschauer. »Schon wieder dieser Präsident-von-Frankreich-Typ! Jenna Steeles Lustknabe.«
»Er ist nicht wirklich der Präsident von Frankreich«, sagten wachere unter den Zuschauern. »Das ist nur so ein Scheiß, den er den Leuten erzählt.«
»Aber wer ist er dann? «
Niemand wusste es.
Die Zuschauer waren es bald leid, nicht genau zu wissen, wer dieser John Scratch war. Sie wollten Antworten.
Jennas Studioleute wussten, wenn Zuschauer etwas sehen oder wissen wollten , dann konnte man damit Geld verdienen. Also kamen drei Executives in glänzenden modischen Hemden in Jennas Büro spaziert und boten John Scratch seine eigene Fernsehshow an.
»Meine eigene Fernsehshow?«, entgegnete der Teufel. »Worüber denn?«
»Spielt doch gar keine Rolle«, sagten die Bosse.
»Du denkst dir schon was aus, Baby«, seufzte Jenna, die zusammengerollt auf dem weißen Ledersofa lag.
Und das tat er
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