Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
damit einen knappen Millimeter vor Zacharys rechtem Ohr verharrte.
»Hör auf damit!«, sagte Zachary. Es war genau der Mist, den er und Nita als Kinder im Familienauto gemacht hatten.
»Ich mach doch gar nichts.« Der Teufel grinste. »Ich berühr dich nicht.«
Es war eine lange, lange Fahrt.
22
Daughterry
und der Teufel
gehen eine Wette ein
Maryland, 1863
Ein toter Soldat hing über einem Zauntor. Vielleicht hatte er die Hand nach etwas auf dem Boden ausgestreckt. Eine Wildblume gepflückt oder so. Seine Uniform war ein vergrauendes Blau mit goldenen Tressen. Seine Stiefel waren verschwunden.
Andere lagen verdreht entlang dem Zaun im Gras, zwischen dem Zaun und einer Landstraße. Der Gestank war kaum auszuhalten.
Eggert G. Daughterry blieb stehen, um ein Foto zu machen. Der Teufel half ihm beim Aufstellen des Stativs. Sie hatten gelernt, durch den Mund zu atmen.
Es herrschte Krieg. Nicht auf einem transatlantischen Schlachtfeld, nein, gleich hier vor der Haustür, in Maryland.
Und in Mississippi ebenfalls. Und in Tennessee. Orte, die für Daughterry vor dem Krieg imaginär gewesen waren. Orte, die er inzwischen kannte. Die er fotografiert hatte. Er hatte dieses Universum aus Horror und Entsetzen in einem Miniaturhaus auf Rädern bereist, weiß angestrichen, gezogen von ungleichen Pferden und mit der Aufschrift Eggert G. Daughterry, Photographischer Künstler auf beiden Seiten.
»Die Menschen müssen erfahren, was für eine Horrorshow der Krieg ist!«, pflegte Daughterry häufig zu sagen.
Das war der Grund, warum der Teufel mit ihm reiste.
Er pflichtete Daughterry bei – es war eine Horrorshow. Und er war überzeugt, wenn die Menschen nicht daran gewöhnt waren, würden sie sich dagegen wehren, und das bedeutete Ärger und Scherereien in künftigen Jahrzehnten, wenn die Horrorshows und das Entsetzen noch viel größer und schlimmer sein würden. Die Menschen, dachte der Teufel, mussten den Krieg sehen. Sie mussten lernen, die Bilder zu sehen, ohne dass ihnen dabei übel wurde und ohne dass sie von Trauer und Reue wie gelähmt waren. Weil die Zivilisation den Krieg noch eine Weile brauchte. Wie einen Einlauf oder eine Transfusion entschlackte der Krieg, läuterte vom Alten und schuf Platz für das Neue. Vielleicht würde die Menschheit eines Tages eine bessere Methode finden, um sich weiterzuentwickeln, doch dieser Tag war noch nicht gekommen.
Einmal, ziemlich am Anfang, hatte der Teufel einen konföderierten Leichnam gefunden, ein halb verwestes Skelett, dem der Unterkiefer gefehlt hatte. Er hatte den Unterkiefer durch eine Blechtasse ersetzt und den Leichnam auf seinem Knie arrangiert wie eine Bauchrednerpuppe. Daughterry hatte ihm gesagt, er solle still sitzen, bis er ein Bild von ihm gemacht habe. Anschließend hatten sie die Plätze getauscht, und der Teufel hatte Daughterry fotografiert.
Es war die Art von Beschäftigung, der man in seiner Freizeit nachging, wenn man hinter Monsterarmeen her fuhr, durch eine friedliche, stille Landschaft voller Leichen.
»Was für eine hässliche Geschichte«, sagte der Teufel. »Man sollte wirklich meinen, sie hätten irgendwann die Nase voll davon.«
Daughterry trat um die Kamera herum, warf einen Blick auf die Sonne und entfernte die Abdeckung von der Linse.
»Vielleicht ist es nicht so einfach, wie du glaubst«, sagte er.
Seine Stimme hatte einen summenden Unterton, und er war tatsächlich ganz merkwürdig geformt, wie eine Biene, mit eigenartig breitem Unterleib und stets nach vorn gebeugt.
Der Teufel überlegte.
»Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist«, verkündete er schließlich. »Ich dachte nur, man sollte meinen, dass Lincoln und seine vornehmen, gebildeten Freunde einen besseren Weg gefunden hätten, um diesen Sklaven haltenden Inzüchtigen …«
»Hüte deine Zunge! Das hier ist nicht gerade eine loyale Gegend«, empfahl ihm Daughterry.
»Sie machen mir keine Angst!«, brummte der Teufel. »Das weißt du.«
»Das liegt daran, dass du der Teufel bist«, konterte Daughterry. »Würdest du bitte dieses Stativ zusammenfalten und im Wagen verstauen? Wir sind hier fertig.«
***
Der Teufel hatte Daughterrys Seele. Sie gehörte ihm.
Er hatte dem Fotografen versprochen, dass seine Bilder die Jahrhunderte überdauern würden – vorausgesetzt, er konzentrierte sich auf das Ablichten der Toten. Daughterry hatte seine Seele – eine fette Hummel – hergegeben unter der Bedingung, dass der Teufel seinen Teil der Last tragen würde, falls er mit
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