Der Ramses-Code
um Gerüchte. Außerdem wäre zu klären, was das ist: ein Anti-Bonapartist. Durch welche Eigenschaften wird man denn zum Bonapartisten?«
»Pardon, ich habe momentan keinen Nerv für amüsante Spitzfindigkeiten. Ich will nicht nach Grenoble! Was sind das für Zeiten, wo man Gelehrte wie Schachfiguren hin und her schiebt!«
»Was haben Sie denn gegen Grenoble?«
»Es ist geistige Provinz. Ich kann nur in Paris arbeiten. Hätte er mir kein anderes Departement geben können, wenn es schon unbedingt sein soll, daß ich Bürokrat werde …«
»Autokrat«, verbesserte Sacy mit einem Schmunzeln.
»In diesem Land existiert nur ein einziger Autokrat, und der ist es, der mich zwingt, künftig am Anus mundi zu leben!«
»Nun nun. Es gibt dort die Delphinatische Akademie, einen rührigen Gelehrtenverein. Nehmen Sie es doch von der angenehmen Seite: Die Luft soll ausgezeichnet sein, das Panorama malerisch, und außerdem wird dort nie jemand mit einer Kopie vorbeikommen und von ihnen verlangen, Sie mögen im Interesse der Nation mal eben die ägyptischen Hieroglyphen entschlüsseln.«
Fourier lachte kurz und bitter auf.
»Was lachen Sie?« fragte der Orientalist. »Wir haben alle unsere Sorgen.«
»Ich bewundere Ihre elegante Überleitung.«
»Wollen Sie vielleicht doch einen Kaffee?«
Fouriers Erregung hatte sich offenbar gelegt, sie schien ihm sogar etwas peinlich zu sein. Er blickte ziellos im Zimmer umher, nahm dankend den Kaffee in Empfang, den das Hausmädchen, übrigens ähnlich unansehnlich wie sein Herr, brachte und trat schließlich vor den großen Eichenholztisch, auf dem die Kopie lag.
»Sie meinen also«, begann er, »ich sollte mich ganz entspannt aus Paris trollen. Nun gut, vielleicht haben Sie recht. – Ja, das hier« – und er strich über den griechischen Teil des Textes, in dessen rechter Hälfte eine etwa faustgroße Scharte prangte, ganz so, als hätte sie ein Soldat mit seiner Spitzhacke in den Stein geschlagen –, »das kenne ich. Ich habe mir den Stein oft angesehen und es sehr bedauert, daß er so ramponiert worden ist. Na ja, immerhin ist das gute Stück zweitausend Jahre alt. Ein schwerer Brocken übrigens, er wog gut und gern fünfzehn Zentner; wir hatten ziemliche Mühe, ihn zu transportieren, weil er so schwer und zugleich so klein war, ein Mann ist draufgegangen, als er gefunden wurde. – Und wie weit sind Sie mit den ägyptischen Inschriften?«
Sacy winkte ab. »Ich glaube nicht, daß man das jemals lesen wird.«
»Tatsächlich?«
»Ja, sehen Sie, ich denke, daß man über die Eigennamen am besten in die Texte hineinkäme, aber vom hieroglyphischen Teil, und das ist ja wohl der interessanteste, fehlt leider das meiste. Wenn es stimmt, was ein paar Orientreisende behauptet haben, der Däne Zoëga etwa oder der Deutsche Niebuhr, dann enthalten diese ovalen Ringe« – er deutete auf einen der fünf im Hieroglyphentext auftauchenden Ovale, die sich jeweils um eine kleine Anzahl Zeichen schlossen –, »dann enthalten diese Ringe hier die Namen der Herrscher. Wie Sie sehen, taucht in den erhaltenen Ringen immer dieselbe Zeichenfolge auf, zweimal in kurzer Fassung, nämlich so:
und dreimal von mehreren anderen, aber untereinander ebenfalls identischen Zeichen begleitet:
Das könnten die Hieroglyphen für den Namen Ptolemaios sein. Leider besitzen wir vom hieroglyphischen Teil nur den Schluß, und all die anderen Namen stehen am Anfang der Inschrift.«
»Aber der demotische Teil ist so gut wie vollständig.«
»Ja, deshalb werde ich mich auch auf ihn kaprizieren. Ich glaube inzwischen herausgefunden zu haben, wo hier der Name Ptolemaios geschrieben steht. Ich habe einfach – was heißt einfach, es war eine Schinderei in diesem Wirrsal von Strichen! – , ich habe also die Zeichen und Zeichenabstände der demotischen Kursive mit der griechischen Inschrift verglichen. Diese Folge«, Sacy nahm ein Blatt Papier zur Hand, wo er notiert hatte:
»erscheint genausooft im demotischen Text wie der Name des Königs im griechischen, und sie erscheint ziemlich exakt an denselben Stellen. Sie müßte meiner bescheidenen Meinung nach ›Ptolemaios‹ bedeuten. Ich betone: bedeuten – wie man sie liest, weiß ich nicht. Wie Sie sehen, handelt es sich um zwölf einzelne Striche, wobei nicht festzustellen ist, welcher Strich für sich eine buchstabenähnliche Bedeutung besitzt oder welche von ihnen zusammengehören. Das Wort ›Ptolemaios‹ besteht aus zehn Buchstaben, wobei das o zweimal
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