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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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fahndeten in den Tiefen der Vergangenheit nach einem Stand derGestirne, der jenem auf dem Kreis entsprechen könne, und stellten schließlich drei Zeiten zur Auswahl: 2857 bis 2738 vor Christus, 1433 bis 1314 vor Christus oder 9 vor bis 110 nach Christus. Es hagelte wissenschaftliche Kommentare und theologische Streitschriften. Einige Gelehrte datierten das Alter des Artefakts auf 17 000 Jahre. Im Vatikan, so wurde zumindest kolportiert, herrschte größte Aufregung, weil man die biblische Chronologie für gefährdet hielt.
    Die mächtige, düstere Steinplatte von der Größe eines herrschaftlichen Ehebetts, deren Flachrelief das Himmelsrund darstellte, wirkte noch geheimnisvoller, als die Zeichnung der ägyptischen Kommission vermuten ließ, und ihre magische Ausstrahlung ergiff die Betrachter, die sich flüsternd und staunend an ihr vorbeischoben.
    »Denken Sie nur, Mademoiselle: Er ist älter als die ältesten Texte der Bibel!« erklärte ein junger Mann seiner Begleiterin mit theatralischer Gebärde – offenbar wollte er mit seiner blasphemischen Bemerkung Eindruck bei ihr schinden.
    »Heidnisches Blendwerk«, fauchte ein älteres Männlein und funkelte den Galan böse an, »vom Teufel auf Ägyptens Steine geschrieben in der Nacht vor der Entdeckung des Denkmals!«
    »Ach was«, brummte ein Dritter, »es ist einfach schön!«
    »Die Popularisierung ist wohl keinem wissenschaftlichen Gegenstand dienlich«, wandte sich Jacques-Joseph halblaut an seinen Bruder, doch der war wie angewurzelt stehengeblieben und starrte auf eine Hieroglyphen-Gruppe.
    »Was ist los?« fragte Jacques-Joseph.
    »Griechisch-römische Zeit«, stieß Jean-François orakelhaft hervor.
    Jacques-Joseph sah den Bruder fragend an.
    »Sie dürfen nicht stehenbleiben«, sagte einer der Aufseher, »es wollen noch mehr Menschen den Tierkreis sehen. Gehen Sie bitte weiter!«
    Mechanisch leistete Jean-François der Aufforderung Folge.
    »Du meinst«, fragte ihn Jacques-Joseph draußen, »der Tierkreis – und damit wohl auch der Tempel – stammt aus der Spätzeit?«
    »Allerdings.«
    »Und warum?«
    »Ich habe meine Gründe.«
    Jacques-Joseph lächelte gequält. Entgegen seinem Vorsatz, den Bruder bei dessen wirren Kommentaren nicht mehr mit Fragen zu behelligen, hakte er nach: »Was für Gründe?«
    »Welcher Pharao würde sich wohl mit dem griechischen Titel ›Autokrator‹ schmücken? Und dieser Spinner Young liest es als ›Arsinoë‹!« Jean-François wurde von einem kurzen Kichern geschüttelt.
    »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
    »Das bin ich inzwischen von dir gewohnt«, entgegnete Jean-François gleichmütig. »Ich habe durch meine Studien zwar nicht Reichtum und Ehre erlangt, wohl aber den größeren Schatz leidenschaftsloser Hingabe ans Geschick und völliger Gleichgültigkeit gegen die Zukunft. Ich werde die Ideen anderer überhaupt nicht mehr beachten.«
    Damit war das Gespräch beendet.
    Als Jacques-Joseph am nächsten Morgen in das Zimmer seines Bruders trat, erstarrte er: Jean-François hatte die Wände von der Decke bis zum Fußboden mit Hieroglyphen bemalt. Alle Bücher waren verschwunden. Er selbst saß am Schreibtisch und stierte in die Luft.
    »Wo sind denn die Bücher?« fragte Jacques-Joseph.
    »Ich habe sie weggeworfen«, erwiderte Jean-François, ohne ihn anzusehen.
    Jetzt hat er wirklich den Verstand verloren, dachte Jacques-Joseph. Hätte ich ihn doch bloß nicht vor diesen Tierkreis geführt!
    »Aber warum wirfst du Bücher weg?«
    »Weil ich auch ohne alte Irrtümer auskomme.« Bei diesen Worten drehte sich Jean-François um. Sein Bruder erschauerte: Die Augen! Sie strahlten wieder!
    Wortlos sahen sich die beiden an. Dann wandte sich Jacques-Joseph ab und verließ das Zimmer, traurig, verwirrt und sorgenvoll.

43
    Daß die Champollions wieder in Paris weilten, sprach sich an der Universität und in den gelehrten Zirkeln der Stadt allmählich herum. Die Universität unterstand nunmehr einem streng klerikalen und ultraroyalistischen Großmeister, der sofort und von vornherein untersagte, den Brüdern Lehraufträge zu erteilen, und dabei auf keinerlei Widerstände stieß. Von welcher Seite hätten sie auch kommen sollen? Silvestre de Sacy, seit einigen Jahren Rektor der Universität und der einzige, der dafür in Frage gekommen wäre, zog es vor, keinen Finger deswegen zu rühren. Er fühlte sich darin durch Nachrichten bestärkt, denen zufolge der jüngere der beiden, der Naseweis und Möchtegern, an zunehmender

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