Der Ramses-Code
ist ja so viel geschehen inzwischen, Sie waren ganz oben und sind jetzt, nun ja, ich will nicht sagen …« Er verstummte, musterte sein Gegenüber, dessen Miene undurchdringlich blieb. »Ich meine, daß es nicht allein die äußeren Umstände sein können. Sie haben noch mit keinem Wort Ihren Bruder erwähnt – wie geht es ihm? Wann wird er diesen Young vom Sockel stoßen und uns aus dem ägyptischen Labyrinth führen?«
Statt einer Antwort seufzte Jacques-Joseph, seine Augen blickten den ehemaligen Präfekten so hoffnungslos an, daß dieser erschrak. »Er wird uns nicht aus einem Labyrinth führen«, antwortete Jacques-Joseph tonlos, »sondern er ist wohl auf dem Wege in ein Labyrinth. Er ist krank, nicht nur körperlich …«
Wieder erschrak Fourier.
»Sie meinen«, sagte er, deutete an seine Stirn und sprach nicht weiter.
Jacques-Joseph nickte. »Er ist wunderlich geworden, nimmt die Welt nicht mehr zur Kenntnis, bemalt die Wände und redet wirres Zeug. Es war alles zuviel für ihn.«
Jacques-Joseph trank sein Glas leer, schenkte sich mechanisch nach und fuhr, froh, darüber sprechen zu können, fort: »Aber er scheint nicht mehr unter seinem Zustand zu leiden.In Figeac sind wir oft aneinandergeraten, haben tagelang nicht miteinander geredet. Manchmal ist er ohnmächtig geworden, und ich mußte ihn ins Bett tragen. Hier in Paris verläßt er nicht einmal mehr das Haus. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.«
»Sie brauchen zunächst einmal eine vernünftige Anstellung«, sagte Fourier aufbrausend. »Es ist ein Skandal, daß Sie, Ihr Bruder und noch eine Handvoll Leute für die Irrwege einer ganzen Nation büßen sollen. Ein Mann wie Sie! Sie müßten mindestens 4000 Francs im Jahr verdienen!«
Was für ein Träumer, dachte Jacques-Joseph. Niemand wird mir mehr eine Chance geben.
Einige Tage später tauchten drei Männer im Louvre auf und erkundigten sich nach Monsieur Champollion: ein vollbärtiger Südländer von riesenhaftem Wuchs, der allerdings kein Wort sprach, ein kleinwüchsiger, flinker, elegant gekleideter Alter mit zerknittert-fröhlichem Gesicht und ein würdevollenergischer Greis, dessen majestätische Stirn von weißem Haar umloht war. Bei letzterem handelte es sich um Baron Bon Joseph Dacier, seit mehr als drei Jahrzehnten ständiger Sekretär der »Akademie der Inschriften und der Belletristik«, kurz Inschriftenakademie genannt – jener Sektion des Institut de France, die sich den Alten Sprachen widmete –, ein bekannter Freigeist und eine der grauen Eminenzen des Pariser Wissenschaftsbetriebes. Ehe Jacques-Joseph Vermutungen über den merkwürdigen Besuch anstellen konnte, sagte der fröhliche Herr: »Monsieur Champollion, ich bin bestürzt darüber, daß Sie und Ihr Bruder, wie ich soeben erst erfahren habe, schon seit Monaten in Paris weilen, ohne sich zum Besuch bei mir anzumelden. Glauben Sie vielleicht, ein alter Napoleon-Freund wie ich stört sich daran, daß irgendwelche Narren Sie zu Hochverrätern erklärt haben? Oder hat Ihr Bruder den alten Denon am Ende vergessen?«
»Sie sind Vivant Denon?« entfuhr es Jacques-Joseph, und jetzt dämmerte ihm die Erinnerung an das Gesicht des Lebemannes und Abenteurers, den er vor vielen Jahren in Grenoble gesehen hatte.
»O pardon, ich war so unhöflich, uns nicht vorzustellen«, entgegnete Denon, »woran Sie übrigens den Grad meiner Empörung über Ihr Fernbleiben ermessen können. Meine Herren, das ist Jacques-Joseph Champollion, Bruder und Mentor des Sprachgenies gleichen Namens« – ein Zucken lief um Jacques-Josephs Mundwinkel, während Denon fortfuhr –, »Bon Joseph Dacier, ständiger Sekretär der Inschriftenakademie; Giovanni Belzoni, der, wenn ich so sagen darf, Schatzmeister Ägyptens.«
Der Hüne verstand offenbar genug Französisch, um geschmeichelt zu lächeln, und Jacques-Joseph war neuerlich verblüfft. Selbstverständlich wußte er, wer Belzoni war. Beeindruckt sah er zu dem Italiener auf. Was hatte dieser Auftritt zu bedeuten?
»Monsieur Champollion, ich habe diese Herren mitgebracht, weil sie Sie kennenlernen wollten«, erklärte Denon. »Monsieur Dacier sucht einen fähigen Mitarbeiter an der Inschriftenakademie. Ich persönlich sehe keinen Sinn darin, daß ein Professor und hochgelobter Administrator zur Strafe dafür, daß er Napoleons Sekretär war, im Louvre Handschriften sortiert. Vielmehr meine ich, daß Monsieur Dacier entzückt sein wird, wenn Sie sich bereit fänden, ihm zur Seite zu stehen.«
Der
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