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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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geistiger Verwirrung litt. Professor Quatremère nannte ihn ohne Umschweife »der Verrückte aus Grenoble«.
    So geschieht es, wenn man sich verrennt, dachte Sacy und erinnerte sich mit einer Mischung aus Bitternis und Häme an die Rezension der renommierten »Wiener Allgemeinen Literaturzeitung«, in welcher dem jüngeren Champollion bescheinigt worden war, er habe sämtliche Gelehrten Frankreichs, unter anderem auch seinen Lehrer Sacy, auf ägyptischem Gebiet hinter sich gelassen. Das war vor acht Jahren gewesen. Inzwischen kannte keiner mehr Champollion, er indes, Silvestre de Sacy, war zum Rektor aufgestiegen und vom König geadelt worden. Hätte er doch auf mich gehört und die Finger von den Hieroglyphen gelassen, dachte Sacy. Talentiert war er ja. Hätte mich vielleicht irgendwann beerben können als Autorität in den orientalischen Fächern. Nein, er verrennt sich in diesen hieroglyphischen Hokuspokus, mischt sich nebenbei in die Politik, und am Ende bringt ihn das alles um den Verstand. – Ob Young auch bald verrückt wird? Seit Jahren kommt nichts Neues von ihm, und eine wirkliche Lesart der ägyptischen Schrift hat er nicht geliefert. Als ich ihn darauf hinwies, hat er den Briefverkehr abgebrochen. Eitler Pfau! Eitel wie Champollion! Diese Hieroglyphen machen die Leute irre, man sieht’s auch an dem Rummel um den Tierkreis. Alle wollen sie klüger sein als der alte Sacy. Aber ich habe recht behalten.
    Sacy lebte still sein Rektoren- und Gelehrtenleben, arbeitete und hüllte sich in Schweigen, selbst als Quatremère, der neugieriger war als er und die Lebensumstände seines einstigen Feindes hatte auskundschaften lassen, ihm erzählte, daß die beiden regelrecht in Armut lebten, was man wohl als gerechte Strafe für Gottlosigkeit, akademische Hybris und politisches Umstürzlertum zu betrachten habe.
    Das war kaum übertrieben. Die Brüder hausten in ihrer ärmlichen Dachwohnung. Jacques-Joseph hatte einen Stelle als Hilfsarchivar am Louvre angenommen, so daß sie ihre Miete bezahlen und ein wenig Geld nach Grenoble schicken konnten. Zum Leben blieb fast nichts.
    Was Jean-François anging, so hatte er Pauline und Grenoble einfach vergessen. Die Wirklichkeit drang nicht mehr zu ihm. Er aß kaum noch, vernachlässigte seine Kleidung und rasierte sich nicht. Die meiste Zeit des Tages verbrachte er dösend im Bett. In den wachen Momenten schrieb er Hieroglyphen und bat den Bruder, ihm Kopien der neuesten Schriftfunde zu besorgen. Ohne Jacques-Joseph wäre er wohl im Armenhaus gelandet oder gar verhungert. Er registrierte nicht einmal, daß er dem Bruder mit seinem Nichtstun auf der Tasche lag und ihn dadurch indirekt hinderte, Frau und Kinder wiederzusehen. Fanatisch kreiste sein gesamtes Denken nur noch um koptische Worte und ägyptische Schriftzeichen, so daß ihm bei den kurzen Unterredungen mit dem Älteren mitunter nicht einmal mehr die passenden französischen Begriffe einfallen wollten. Jacques-Joseph ergab sich in die trübe Aussicht, daß er sein Leben lang für den Bruder wie für ein unselbständiges und geistig zurückgebliebenes Kind zu sorgen haben würde. Seine wissenschaftliche Laufbahn schien damit beendet.
    Vivant Denon, der vielleicht hätte helfen können, war inzwischen ein alter Mann, der sich in sein luxuriöses Haus am Quai Voltaire zurückgezogen hatte und über kunstgeschichtlichen Abhandlungen brütete; so konnte er nicht wissen, daß ein Champollion am Louvre arbeitete. Fourier erfuhr es, wenn auch mit einiger Verspätung. Der Mathematiker hatte sich nach seinem Abschied von der Politik völlig ins Privatlebenzurückgezogen, schrieb an einer umfangreichen Abhandlung zur Wärmelehre und lebte von seinen Ersparnissen. Er begab sich eines Nachmittags in die königlichen Kunstsammlungen, wo er seinen ehemaligen Assistenten, den ehemaligen Professor und ehemaligen Privatsekretär Napoleons, beim Sortieren von Handschriften antraf …
    Am Abend saßen beide in einer Taverne mit Blick auf die Cité, tranken Rotwein und sprachen über den Weltlauf. Fourier wußte, daß die Brüder in Schwierigkeiten steckten, daß sie Grenoble hatten verlassen müssen, daß es für einen Mann wie den älteren Champollion beschämend war, Hilfsdienste zu verrichten. Die beiden Männer kannten sich lange genug; so faßte er sich schließlich ein Herz und fragte: »Ich glaube Ihnen anzumerken, daß Sie bedrückt sind – berichtigen Sie mich, wenn ich mich irre –, ich meine, wirklich zutiefst bedrückt. Es

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