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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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das merkt man sofort. Er sieht gar nicht aus wie ein Sechzehnjähriger; ich hätte ihn glatt für zwanzig durchgehen lassen. Nur daran, daß er ein bißchen linkisch ist, mag man sein wahres Alter erkennen. Hoffentlich halten seine Geistesgaben mit seinem Temperament Schritt!
    Der Orientalist führte die Brüder ins Arbeitszimmer, wo noch ein anderer Besucher saß. »Darf ich die Herren miteinander bekannt machen: Louis Mathieu Langlès, Dozent für die mittelasiatischen Sprachen«, sagte Sacy und fügte schmunzelnd hinzu: »Man nennt ihn den ›Tataren‹, und ich weiß, er hat nichts gegen diesen Kosenamen.« Auf die Eintretenden deutend, fuhr er fort: »Die Gebrüder Champollion aus Grenoble. Der ältere von beiden ist der Sekretär unseres lieben Fourier, der jüngere künftiger Student am Collège und mit seinen 16 Jahren bereits Mitglied der Delphinatischen Akademie. Ein junger Mann also, der zu vielerlei Hoffnung Anlaß gibt.«
    Langlès, jünger als der Hausherr, ein wenig korpulent und mit einem Zug um den Mund, als funktioniere seine Verdauung nicht richtig, erhob sich und grüßte wortlos. Irgend etwas gefiel Jean-François an diesem Mann nicht. Was ist es nur, das ihn mir unsympathisch macht? überlegte er, während er sich gegen Langlès verbeugte. Dann wurde es ihm klar: Es war die lauernde Haltung des als »Tatar« Vorgestellten, sein zwischen die gerundeten Schultern gezogener Kopf, der wie der einer Schlange wirkte, die bereit ist, vorzuschnellen und zuzubeißen.
    Jean-François wollte höflich sein und etwas Freundliches von sich geben, also äußerte er: »Nicht umsonst wird der französische Geist überall gepriesen. Kein Winkel der Welt bleibt ihm verschlossen; nicht nur, daß der beste Kenner des Arabischen ein Franzose ist« – er verbeugte sich leicht gegen Sacy –, »nein, die Weisen unseres Landes erschließen auch die fernsten und abseitigsten Kulturen.«
    O weh, dachte Jacques-Joseph mit Blick auf Langlès, das war ein Fauxpas.
    In der Tat runzelte der »Tatar« die Stirn. »Abseitig?« fragte er. »Was meinen Sie damit, junger Mann?«
    »Er meint es nur geographisch«, sprang der Bruder ein, »und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß die Mitte sich dort befindet, wo wir uns gerade aufhalten. Natürlich gibt es viele, unendlich viele Mitten, und von Asien aus betrachtet, mag Paris ›abseitig‹ liegen.«
    »Soso«, brummte Langlès, »ich nehme an, Ihr Bruder spricht in Ihrem Sinne.«
    »Voll und ganz«, versicherte Jean-François.
    »Und wo befindet sich Ihre Mitte?«
    »Ich habe mich dem alten Ägypten verschrieben.«
    Er sagte es freundlich, fast fröhlich, aber die Miene des Lauerers hellte sich durchaus nicht auf, als er entgegnete: »Ach? Na ja, das ist schließlich en vogue. Seit Napoleons Feldzug betrachtet man hier Ägypten als eine Art geistiges Besitztum – da es zur wirklichen Provinz leider nicht gereicht hat. Der Krieg scheint immer noch der beste Studienwegweiser zu sein. Da bleibt unsereinem wohl nur die Hoffnung, Napoleon möge sich doch noch irgendwann zu einem Indien-Abenteuer entschließen; vielleicht erwärmen sich dann ein paar junge Leute für die Erforschung Mittelasiens.«
    »Mein lieber Langlès, ich bin sicher, daß Sie auch ohne Krieg und Eroberung Mitstreiter finden werden, die Ihnen ins Herz Asiens folgen«, mischte Sacy sich ein.
    Aber der »Tatar« ließ nicht locker. »Und Sie sind trotz Ihres jungendlichen Alters bereits fest auf Ihren Gegenstand fixiert?« erkundigte er sich bei dem zukünftigen Studenten, nachdem man sich gesetzt hatte. »Mit welchem Ziel?«
    »Ich fürchte, mein Ziel ist ein bißchen utopisch und übersteigt meine Kräfte«, erwiderte Jean-François, »aber ich träume davon, eines Tages vielleicht in der Lage zu sein, das Altägyptische zu rekonstruieren.«
    »Wie wollen Sie das erreichen? Das Altägyptische ist tot.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich tot ist. Ich glaube, daß es in der Sprache der Kopten überlebt hat.«
    »Im Koptischen?« rief Langlès erstaunt.
    »Ja. Das ist die Sprache derjenigen Ägypter, die vor anderthalb Jahrtausenden zum Christentum übertraten –«
    »Monsieur Langlès weiß durchaus, wer die Kopten sind«, unterbrach ihn Sacy, »aber wie kommen Sie darauf, daß das Altägyptische in dieser Sprache überlebt haben soll?«
    »Ich bin der Ansicht«, erwiederte Jean-François, »daß die Ägypter, als sie christlich wurden und die überlieferten Kulte des Landes allmählich ausstarben, ihre

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