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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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her schob, so daß er ihn, der gewohnten Weise gemäß, ungefähr dreiviertel
Armeslänge vor sich hatte, ihn sofort in den Wagen und folgte selber nach. Dann kam Miß Sally; und da jetzt vier drinnen saßen, so stieg Sampson Braß auf den Bock und hieß den Kutscher losfahren.
    Noch völlig betäubt von dem plötzlichen und schrecklichen Wechsel, der in seinen Verhältnissen vorgegangen war, stierte Kit zum Kutschenfenster hinaus, in der festen Hoffnung, in den Straßen irgendeine ungeheure Erscheinung zu sehen, die ihm Grund zu der Annahme geben würde, dies alles sei nur ein Traum. Leider war aber alles nur zu wirklich und ihm nur zu bekannt: dieselbe Aufeinanderfolge der Straßenwindungen, dieselben Häuser, derselbe Menschenstrom, der zu beiden Seiten in verschiedenen Richtungen über das Pflaster wogte, dasselbe Karren- und Wagengerassel, dieselben wohlbekannten Gegenstände in den Ladenfenstern – eine Regelmäßigkeit sogar in dem lärmenden Treiben, wie sie nie ein Traum widerspiegeln konnte. So traumhaft die ganze Geschichte schien, so wahr erwies sie sich. Er war des Diebstahls bezichtigt; die Banknote war bei ihm gefunden worden, obschon er unschuldig war in Gedanken und Taten; und man führte ihn fort als einen Gefangenen.
    In diese schmerzlichen Betrachtungen vertieft, dachte er mutlos an seine Mutter und den kleinen Jakob, fühlte ganz deutlich, daß selbst das Bewußtsein seiner Unschuld ihn seinen Freunden gegenüber nicht zu trösten vermöchte, wenn sie ihn schuldig glaubten, und seine Hoffnung wie sein Mut schwanden immer mehr, je näher sie dem Hause des Notars kamen. Und als der arme Kit sehnsüchtig durch das Fenster blickte, ohne daß er überhaupt sah, was um ihn vorging, da gewahrte er plötzlich, wie durch Zauber heraufbeschworen, Quilps Gesicht. Und welch ein Hohn lauerte in diesem Gesicht! Es sah aus dem offenen Fenster einer Schenke heraus, und der Zwerg
hatte sich so weit vorgebeugt, die Ellbogen auf den Fenstersims gestemmt und den Kopf auf beide Hände gestützt, daß er in dieser Haltung und durch die Anstrengung eines unterdrückten Lachens ganz aufgeplustert, zweimal so breit und aufgedunsen als gewöhnlich erschien. Sobald Braß ihn erkannte, ließ er die Kutsche halten. Dies geschah unmittelbar dem Hause gegenüber, in dem Quilp war, und der Zwerg nahm seinen Hut ab, um die Gesellschaft mit einer scheußlichen und grotesken Höflichkeit zu grüßen.
    »Aha!« rief er. »Wohin jetzt, Braß, wohin? Sally auch bei Ihnen? Die süße Sally! Und Dick? Der lustige Dick! Und Kit? Der ehrliche Kit!«
    »Er ist ungewöhnlich heiter!« sagte Braß zu dem Kutscher. »In der Tat ganz ungewöhnlich heiter! Ach, Sir, ein trauriges Geschäft! Bauen Sie nie mehr auf Ehrlichkeit, Sir!«
    »Warum nicht?« entgegnete der Zwerg. »Warum nicht, Sie Spitzbube von einem Advokaten, warum nicht?«
    »Im Bureau eine Banknote verlorengegangen, Sir«, sagte Braß kopfschüttelnd. »Gefunden in seinem Hute, Sir; war unmittelbar vorher allein dort; Irrtum ausgeschlossen, Sir. Eine Kette vollständiger Beweise, kein Glied fehlt.«
    »Was?« rief der Zwerg, mit dem halben Leib zum Fenster herauslehnend. »Kit ein Dieb? Kit ein Dieb? Ha ha ha! Ei, er ist ein häßlicherer Dieb, als man irgendwo für einen Penny zu sehen kriegt! He, Kit, he? Ha ha ha! Habt ihr Kit in Gewahrsam gebracht, ehe er Zeit und Gelegenheit hatte, mich durchzuprügeln, he, Kit, he?«
    Und nun brach er in ein gellendes Gelächter aus, über das sich der Kutscher entsetzte, und zeigte auf eine nebenstehende Färberstange, von der ein Anzug herunterbaumelte, daß es aussah, als wenn ein Mann an einem Galgen hing.
    »Ist es so weit gekommen, Kit?« rief der Zwerg, indem er
heftig seine Hände rieb. »Ha ha ha ha! Was wird der kleine Jakob, was seine allerteuerste Frau Mutter für Augen machen! Sorgen Sie dafür, Braß, daß man ihm den Bethelpfarrer als Trostspender gibt. He, Kit, he? Vorwärts, Kutscher, vorwärts! Gott befohlen, Kit; alles Gute mit dir! Sei heitern Mutes; schöne Grüße an die Garlands, den lieben alten Herrn und seine Frau. Sage ihnen, ich habe nach ihnen gefragt, willst du? Gottes Segen über sie und über dich und über jedermann, Kit. Gottes Segen über die ganze Welt!«
    Mit solchen guten Abschiedsgrüßen, die wie ein reißender Strom von seinen Lippen flossen, bis sie nicht mehr zu hören waren, begleitete Quilp die sich entfernende Kutsche; und als er sie nicht mehr sehen konnte, zog er den Kopf zurück und wälzte

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