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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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europäische Waren und Produkte aller Art verkaufen: Hodgson’s Ale, Johannisberger Weine, Rheingauer Rotweine, Regenschirme, Uhren, Sextanten und dergleichen mehr. Außerdem betreiben sie einen Coffee Room, der bei den chinesischen Besuchern der Enklave als große Kuriosität gilt. Und natürlich gibt es auch ein Restaurant, und die Speisekarte ist höchst interessant, denn Mr. Markwick ist ein wahrer Meister darin, chinesische Gerichte dem europäischen Geschmack anzupassen. Eine seiner Kreationen nennt sich »chop-shui« und ist bei den Seeleuten so beliebt, dass man ihm schon Unsummen für das Rezept geboten hat, er es aber unter gar keinen Umständen herausgeben will. Er verkauft auch eine köstliche, von ihm selbst erfundene Sauce mit chinesischen Gewürzen; sie trägt den Namen Markwick’s Ketjup, und manche alten Hasen hier können nicht mehr ohne sie leben.
    Das »Hotel« belegt die Etagen darüber und erstreckt sich über mehrere Häuser. Die Gebäude müssen früher einmal recht prachtvoll gewesen sein, sind jetzt aber heruntergekommen und dringend renovierungsbedürftig. Das Ganze ist ziemlich labyrinthisch, mit vielen düsteren Korridoren und verstaubten Vestibülen (das kommt mir recht gelegen, wie ich gestehen muss, denn man kann sich dort gut verstecken, wenn irgendwelche verschrobenen Ausländer auftauchen). Die Zimmer sind feucht und karg möbliert, aber keineswegs billig, sie kosten einen Dollar pro Nacht! Ich hätte es mir auf keinen Fall leisten können, im Hotel zu wohnen, wenn ich den normalen Preis hätte zahlen müssen, aber ich hatte so ein Glück, liebste Paggli: Mr. Markwick war, glaube ich, nicht eben darauf erpicht, dass ich mich unter seine anderen Gäste mische (jemand, der so eifrig wie er alles aufschnappt, was der Wind ihm zuträgt, hat bestimmt das eine oder andere von dem Klatsch und Tratsch um mich und meinen Onkel mitbekommen), und hat mir deshalb eine Kammer angeboten, die sich auf dem Dach versteckt und weniger als die Hälfte des normalen Zimmerpreises kostet! Aber ach, ich wollte, Du könntest sie sehen, liebste Paggli, denn ich bin sicher, sie würde Dir genauso gefallen (oder doch fast) wie mir. Obzwar klein und zugig (ich glaube, sie war früher einmal ein Hühnerstall), ist sie andererseits von Licht durchflutet, weil sie ein großes Fenster und eine kleine Terrasse hat. Das Fenster ist meiner Meinung nach das Beste an dem Zimmer: Glaub mir, meine süße Paggli, ich könnte den ganzen Tag davorsitzen, denn es geht auf den Maidan hinaus, und es ist, als betrachtete man einen nie endenden mela, einen tamasha, der alle anderen an Rummel übertrifft.
    Ein weiterer großer Vorzug dieses Zimmers ist, dass ich einen höchst ungewöhnlichen Nachbarn habe. Er ist Armenier und wohnt eine Etage unter mir. Er hat die ganze Welt gesehen und spricht mehr Sprachen als die besten Dolmetscher. Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Mann gekannt habe, der mehr Ausstrahlung gehabt und eindrucksvoller gesprochen hat. (Falls Du jetzt auf Gedanken kommst, teuerste Marquise de Paggladour: Nein, er ist nicht der Eine – er könnte mein Vater sein und hat offenbar ganze Scharen von Kindern.) Er erinnert mich ein bisschen an unsere Armenier in Kalkutta: Er ist in Kairo aufgewachsen und hat bei einem Franzosen, der mit Napoleon nach Ägypten kam (Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber Mr. Karabedian ist Bonaparte wahrhaftig einmal begegnet !), das Uhrmacherhandwerk erlernt. Er beschreibt sich selbst als Sing-song-Mann – weil er mit Taschen-, Stand- und Spieluhren handelt, die im kantonesischen Jargon allesamt als »sing-songs« bezeichnet werden. Die Nachfrage ist so rege, dass Mr. Karabedian seine besten Spieluhren für Tausende von Dollar verkaufen kann (eine davon ging sogar an den Kaiser in Peking!). Wenn er all seine ausländischen sing-songs verkauft hat, kauft er wiederum in großen Mengen in China hergestellte Uhren auf, die absolut funktionstüchtig sind und so billig hergestellt werden, dass er sie in Indien und Ägypten mit einem satten Gewinn losschlagen kann.
    Mr. Karabedian kommt schon sehr lange nach Kanton und kennt den ganzen Klatsch – welche Taipans zerstritten sind, wer mit wem befreundet ist und welche Gruppen von Leuten man nicht zusammen zum Dinner einladen darf (jawohl, meine liebe Paggli, sogar in diesem Nest hier gibt es viele Grüppchen, Cliquen und Fraktionen). Wir haben sogar eine Art Aristokratie hier oder zumindest einen ungekrönten König: Mr. William

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