Der rauchblaue Fluss (German Edition)
das Anfertigen von Bildern betreffend: Schablonen! Es gibt Schablonen für alles: für die Umrisse von Schiffen, Bäumen, Wolken, Landschaften oder Kleidung. Man bekommt sie dutzendweise auf dem Markt, sagt Zadig Bey, und jedes Atelier hat Hunderte davon zur Verfügung. Durch Variieren ihrer Position kann der Maler alle möglichen interessanten Effekte erzielen.
Zu beobachten, wie ein einzelnes Bild entsteht, ist wahrhaft erstaunlich. Es beginnt seine Reise als leeres Blatt Papier an dem einen Ende des Tischs, wo es rasch mit Alaun präpariert wird. Dann geht es die Bank entlang von Hand zu Hand und erhält Umrisse, Farben, weitere Alaunbehandlungen und noch mehr Farben, bis es als fertiges Bild am anderen Ende ankommt! Und das alles in Minutenschnelle. Es ist atemberaubend , eine regelrechte Manufaktur!
Zadig Bey zufolge geht die Arbeitsweise der Ateliers auf die Porzellanbrennerei zurück, bei der eine einzige Tasse oder Untertasse über sage und schreibe siebzig Händepaare weitergereicht werden kann: Die einen malen die Umrisse, die nächsten den Rand, es folgen die Blautöne, dann die Rottöne und so weiter. Zadig Bey vertritt die Ansicht, die Welt habe diesen Ateliers viel zu verdanken, weil sie etwas möglich gemacht hätten, wovon Leute mit geringen Mitteln früher nur träumen konnten: Konterfeis ihrer selbst und ihrer Lieben besitzen und richtige Gemälde bei sich aufhängen zu können. (Ich verstehe nicht, warum wir in Bengalen keine solchen Ateliers haben. Ich halte es für durchaus möglich, liebe Paggli, dass ich dort etwas Ähnliches aufbauen und damit mein Glück machen könnte … )
Nach all dem hat man Lamqua immer noch nicht selbst kennengelernt. Man klettert eine weitere Leiter hinauf, ähnlich der ersten, und plötzlich findet man sich im Allerheiligsten dieses Kunsttempels wieder, im Atelier des Meisters selbst. Jemand sitzt ihm gerade Modell – ein rotgesichtiger schwedischer Seekapitän in diesem Fall – , und so hat man eine Weile Zeit, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Der Künstler macht einen wohlhabenden Eindruck – ein volles Gesicht, eine behagliche Beleibtheit, eine hohe, gewölbte Stirn. Er trägt ein schlichtes Handwerkergewand, und seinen Zopf hat er zu einem glänzenden schwarzen Knoten gebunden. Seine Arbeitsweise aber unterscheidet sich kaum von der eines europäischen Malers. Mit Palette und Pinsel steht er vor einer Leinwand, die auf einer Staffelei ruht. Das Atelier ist klein, aber es hat ein Oberlicht und ist dadurch sehr hell. Alles hat seinen Platz, es gibt keine Unordnung, keine ungeduldigen Pinselschmierer, keine ungebärdigen Farbkleckse. An den Wänden hängen Dutzende von Porträts, manche soeben fertiggestellt, andere aus dem einen oder anderen Grund nie abgeholt (darunter das ungemein melancholische Bildnis eines Kadetten, für immer unvollendet, denn der Junge ist an Typhus gestorben, während es gemalt wurde).
Eines aber macht Lamqua nicht – und das ist seltsam, wenn man bedenkt, was auf dem Schild über seiner Tür steht: Er macht niemanden schöner, als er ist. Unter keinen Umständen ignoriert er Flecke oder Warzen, Muttermale, gelbe Zähne, wässrige Augen, Blumenkohlohren oder Säufernasen und Ähnliches – manche der Malereien an seiner Wand sind wahre Schreckbilder.
Und als ich mich so umschaute, wen sah ich da? Mich selbst! Oder vielmehr Mr. Chinnery, auf äußerst einnehmende Art gemalt. Man braucht das Porträt nur zu betrachten, um zu wissen, dass der Maler keinen Groll gegen sein Modell hegt.
Lamqua musste meinem Blick gefolgt sein, denn er zeigte auf das Bild und sagte: »Gleich-gleich.« Dann, ohne dass ich ihm vorgestellt worden wäre, sagte er chin-chin, faltete die Hände und sprach mich mit »Mr. Chinnery« an. Er habe gehört, dass ich in Kanton sei, sagte er, und hätte mich gern in sein Atelier eingeladen, habe jedoch davon abgesehen, weil er befürchtet habe, meinen Onkel zu verärgern. Dann erkundigte er sich nach Mr. Chinnerys Gesundheit und seiner Arbeit und sagte, er bedaure zutiefst, dass es ihm nicht mehr möglich sei, sein Atelier zu besuchen, zumal er gehört habe, dass Mr. Chinnery vor Kurzem eine höchst ungewöhnliche Landschaft vollendet habe, die er nur zu gern gesehen hätte.
Das berührte mich sehr, muss ich sagen, denn ich finde es in höchstem Maße unbillig von Mr. Chinnery, dass er Lamqua in dieser Weise behandelt. So stark war diese Empfindung, dass ich das Gefühl hatte, irgendetwas tun zu müssen, und so bat
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