Der rauchblaue Fluss (German Edition)
ein paar Stunden angeboten worden, hätte er rundweg abgelehnt. Jetzt aber war das irgendwie nicht mehr möglich. »Gut, Allow«, sagte er. »Wir mach Ladung-pidgin. Morgen Vico komm zu Allow. Dann Vico nehm Boot zu Anahita , mach bandobast. Wir mach Ladung-pidgin.«
Elftes Kapitel
Markwick’s Hotel, 2. Dezember
Liebste Paggli,
Dein Brief mit dem Bericht über den Lebensweg des armen Mr. William Kerr hat mich aufs Äußerste gefesselt – und auch erstaunt. Aber was ich Dir heute schreibe, wird Dich, das versichere ich Dir, noch mehr überraschen – und Mr. Penrose wird verblüfft sein, denn ich habe eine geradezu sensationelle Entdeckung gemacht. Doch das hebe ich mir für später auf; erst muss ich Dir erzählen, wie es dazu kam.
Du erinnerst dich sicher, dass die Hong-Kaufleute Punhyqua und Howqua mir versprochen hatten, mich bei Lynchong einzuführen, dem Kunstgärtner in Fa-Ti? Nun, mehrere Tage vergingen, ohne dass ich etwas von ihnen hörte, und ich dachte schon, ich müsste mich allein auf den Weg machen. Doch heute Morgen klopfte Mr. Markwick an meine Tür und kündigte einen Besucher an. Er schaute furchtbar finster drein, denn er hat nichts für Besucher übrig, musst du wissen, schon gar nicht für einheimische – in seinen Augen sind viele der Stadtbewohner, die sich auf dem Maidan aufhalten, nichts anderes als la-lee-loons (ein Pidgin-Wort für »Banditen«). Deshalb lässt er jeden, der ihm unerwünscht erscheint, auf dem Treppenabsatz unten warten. Mr. Markwick ist oft erbarmungslos in seinem Urteil, aber in diesem Fall konnte man ihm nicht vorwerfen, ein zu strenger Richter zu sein. Der Besucher war ein verschlagen wirkender Mann mit einem großen Muttermal und einem langen Zopf. Er verbeugte sich mit einem unterwürfigen und zugleich aufdringlichen Lächeln, wie jemand, der etwas Dubioses anzubieten hat, und ich fürchtete zunächst, er könnte eine Art Schlepper sein. Es stellte sich jedoch heraus, dass er von Mr. Lynchong, seinem Dai Lou oder »Boss-Mann«, wie er sich ausdrückte, geschickt worden war, um mich nach Fa-Ti zu bringen.
Er stellte sich als Ah-med vor, aber möglicherweise heißt er schlicht »Ahmed«, denn er vertraute mir an, dass sein Vater ein Schwarzkappenteufel gewesen sei, also wahrscheinlich ein Araber oder Perser (von selbst wäre ich bestimmt nicht darauf gekommen, denn nichts an seinem Aussehen deutete darauf hin, dass er etwas anderes sein könnte als ein Kantonese).
Aber ob nun halb Araber oder nicht – ein Sampan wartete auf dem Fluss, und er wollte unverzüglich aufbrechen.
Ich hätte gern Jacqua mitgenommen, denn mir war schleierhaft, wie ich mich mit Mr. Lynchong verständigen sollte, und auch die Aussicht auf eine lange Bootsfahrt allein mit Ah-med gefiel mir nicht besonders, aber er winkte ab und sagte, wir müssten sofort los, chop-chop, und einen Dolmetscher würden wir nicht brauchen, weil »Boss-Mann sprech eins-a Englisch, so viel gut.« Ich glaubte ihm das keine Sekunde, und ich mochte mich auch nicht hetzen lassen, aber es war nichts zu machen. Ich ging auf mein Zimmer, holte das Kamelienbild und folgte ihm zu dem Sampan.
Fa-Ti liegt nicht weit von Fanqui-Town an der Spitze der Insel Honam, wo der Perlfluss in den White Swan Lake mündet. Um dorthin zu gelangen, muss man allerdings die ganze schwimmende Stadt durchqueren. In nächster Nähe von Fanqui-Town gibt es eine kleine Sandbank namens Shamian, und um sie herum liegen »Blumenboote« vertäut, das sind Wasserfahrzeuge, auf denen Männer sich von Frauen unterhalten lassen. Ich weiß, Du bist keine Miss Mimose, meine liebe Madame de Paggligny, und werde deshalb kein Blatt vor den Mund nehmen (wenn ich auch nicht gerade empfehle, diese Zeilen Mr. Penrose vorzulesen): Die Boote sind in Wirklichkeit nichts anderes als schwimmende Bordelle! Ihr Anblick brachte Ah-med ins Schwärmen, so sehr, dass ich mich fragte, ob er nicht irgendetwas mit ihnen zu tun hatte, denn die Beschreibungen, die er mir gab, und die Angebote, die er mir machte, waren dergestalt, liebe Paggli, dass die Vorstellung, sie hier wiederzugeben, selbst mir die Röte in die Wangen treibt. Deshalb nur so viel: Ich hätte eine reiche Auswahl, so wurde mir kundgetan – Damen aus Hubei, Honan und Macao, vollbusige Großmütter und gertenschlanke Jungfrauen, Sängerinnen, deren Stimmen meine Ohren streicheln, und Näherinnen, deren flinke Finger meine Haut zum Prickeln bringen würden.
Aber zu Ah-meds sichtlicher Enttäuschung
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