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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Innes wohnt, steht unter Belagerung, ringsum sind Wachen und Soldaten postiert. Du fragst Dich vielleicht, warum sie nicht einfach hineingehen und Mr. Innes verhaften, aber Zadig Bey meint, es sei hier von jeher üblich, dass die Cohong-Kaufleute für die ausländischen Kaufleute bürgen. Die Behörden beharren darauf, dass es Pflicht der Hong-Händler sei, Innes aus Kanton zu vertreiben. Zieht er es vor zu bleiben, werden sie dafür bezahlen müssen, und die Strafen, die man ihnen auferlegt, sind wahrhaft fürchterlich .
    Davon konnte ich mich bei meinem nächsten Versuch, die Pearl River Nursery zu besichtigen, mit eigenen Augen überzeugen.
    Aber ich darf nicht vorgreifen. Was diesem kleinen Ausflug vorausging, wird Dich interessieren, weil es unmittelbar mit Deinen Bildern zu tun hat.
    Das Päckchen, das Du letzte Woche an mich abgeschickt hast, ist vor vier Tagen eingetroffen – was für ein Glück für uns, dass Miss Ellen Penrose einen ganzen Satz Abbildungen angefertigt hat (und ich muss sagen, sie zeugen von erstaunlicher Kunstfertigkeit ). Das Päckchen hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können – so dachte ich zumindest – , denn Ah-med sollte mich am nächsten Tag im Hotel abholen, genau eine Woche nach meinem ersten Besuch in der Pearl River Nursery. Mein Wunsch, Mr. Chan zu sehen, bestand unvermindert fort, und ich erwartete Ah-med mit größter Ungeduld. Deine Bilder hatte ich in einer Tasche verstaut, und Mr. Markwick hatte ich gesagt, dass ich einen Besucher erwarte und er mir seine Ankunft sofort melden solle. Dann machte ich es mir in meinem Zimmer gemütlich und verweilte dort die nächsten sechs Stunden.
    Die Zeit verstrich nicht ungenutzt, denn ich konnte schon einmal Jacquas Porträt in Angriff nehmen, und dennoch, liebste Paggli: Du kannst Dir nicht vorstellen, wie enttäuscht ich war, als Ah-med nicht erschien! Ich war am Boden zerstört , aber auch verärgert, und als es von der Kapelle her sechs schlug, beschloss ich, nicht länger zu warten. Ich ging zu Jacqua und sagte ihm, dass ich fest entschlossen sei, gleich am nächsten Morgen ein Boot zu mieten und allein nach Fa-Ti zu fahren. Zu meiner großen Freude erbot er sich, mich zu begleiten (wie ich insgeheim gehofft hatte) und sogar ein Boot zu besorgen.
    Am nächsten Tag brachen wir also auf, und Du kannst nicht ermessen, meine liebe Paggli, wie gespannt ich war. Die Umstände schienen außerordentlich günstig: Das Wetter war schön und das Boot keines dieser grauenvollen, von Harpyien geruderten kleinen Coracles, sondern ein von einem freundlichen alten Schiffer gesteuerter Sampan. Es war freilich etwas eng darin, sodass Jacqua und ich nebeneinandersitzen mussten und, weil es so schwankte, häufig genötigt waren, uns aneinander festzuhalten. Das erhöhte den Reiz der Fahrt jedoch nur, und so beschlossen wir, sie ein wenig auszudehnen und ein kleines Stück den Fluss hinabzufahren. Erst als wir bereits die üblichen Landmarken passiert hatten – die Shamian-Sandbank, das holländische Fort, die Hinrichtungsstätte – , merkten wir, dass sich am Ufer eine gewaltige Menschenmenge versammelt hatte und zu einem Frachtkahn hinüberstarrte, auf dem irgendein Spektakel im Gange war.
    Im Näherkommen sahen wir, dass sich das Spektakel um einen Mann drehte, der mit einem riesigen Holzkragen um den Hals öffentlich zur Schau gestellt wurde. Von vorbeifahrenden Schiffern erfuhr Jacqua, dass er beschuldigt wurde, ein Komplize des abscheulichen Mr. Innes zu sein. Der Holzkragen war seine Strafe dafür, dass er daran beteiligt gewesen war, Opium in die Stadt zu schmuggeln. Möglicherweise werde er sogar enthauptet werden, wenn Mr. Innes die Stadt nicht verlasse, sagte der Schiffer.
    Wir nahmen natürlich an, dass der Mann ein Bandit sei, nicht anders als Innes selbst, und so wirst Du das Ausmaß meines Entsetzens ermessen können, liebste Paggli, als wir noch näher kamen und den Mann nun genauer sehen konnten. Denn es war niemand anders als Punhyqua, der angesehene Hong-Kaufmann und Blumen- und Gartenliebhaber!
    Es war erschütternd, ihn so zu sehen, mit einem riesigen Brett um den Hals, von Tausenden von Menschen höhnisch grinsend begafft, und ich wünschte mir sehnlichst , ich wäre schon inFa-Ti, aber dorthin zu gelangen erwies sich ebenfalls als unmöglich. Kaum hatten wir gewendet, kamen wir an eine Sperre, an der man uns sagte, dass neue Bestimmungen erlassen worden seien und wir ohne Sondergenehmigung nicht weiterdürften.

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