Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Wir kehrten also um, und bei meiner Rückkehr in Markwick’s Hotel erfuhr ich, dass die Fahrt ohnehin umsonst gewesen wäre, denn in der Zwischenzeit war Ah-med da gewesen, um mir zu sagen, dass Mr. Chan die Stadt in dringenden Geschäften verlassen habe!
Seitdem fehlt von Ah-med jede Spur, und auch von Mr. Chan habe ich nichts mehr gehört, was mich aber nicht wundert, denn die Atmosphäre in Fanqui-Town ist geradezu beängstigend angespannt. Mr. Innes weigert sich nach wie vor abzureisen, und jeden Tag hört man neue Gerüchte über Strafmaßnahmen und Drohungen gegen ihn. An einem Nachmittag wurden überall im Umkreis der Creek-Faktorei Plakate in chinesischer und englischer Sprache angeschlagen. Eins habe ich als Andenken mitgenommen, und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, den Text für Dich abzuschreiben, denn ich weiß, er wird Dich interessieren:
»Am Dritten dieses Monats hat der ausländische Kaufmann Innes unter dreister Missachtung des Gesetzes mit einem Boot, das daraufhin von den Behörden beschlagnahmt wurde, Opium nach Kanton gebracht. Er setzt sich offen über die kaiserlichen Erlasse hinweg und legt die äußerste Geringschätzung seiner eigenen Reputation an den Tag. Sein Verhalten gibt zu höchster Empörung Anlass. Wir lehnen es deshalb ab, weiter mit ihm Geschäfte zu tätigen, und werden nicht dulden, dass er in unseren Gebäuden wohnt. Demzufolge tun wir unseren Beschluss mit diesem Anschlag aufs Deutlichste kund, sodass ihn jeder vernünftige Mann zur Kenntnis nehmen und sich zur frühzeitigen Warnung gereichen lassen kann.«
Ist das nicht eine höchst ominöse Verlautbarung? Doch nicht einmal von ihr lässt sich Mr. Innes beeindrucken, so ein Mensch ist er.
Das Seltsamste an der ganzen Sache ist Zadig Bey zufolge, dass Mr. Innes nicht allein gehandelt haben kann – er muss Komplizen gehabt haben, und es ist durchaus möglich, dass er durch die Nennung von Mittätern die Last seiner Schuld erleichtern könnte. Er lehnt das jedoch strikt ab und erklärt sich für völlig unschuldig in Bezug auf alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe (obwohl man ihn beim Löschen der Opiumfracht vor seiner eigenen Haustür erwischt hat!). Er behauptet, das Rauschgift sei von den chinesischen Zollbeamten auf sein Boot geschafft worden (was natürlich absolut lächerlich ist), und ist nicht zum geringsten Schuldeingeständnis bereit. Das hat die Hong-Kaufleute in ein schreckliches Dilemma gestürzt. Sie haben etliche Sitzungen abgehalten und zahllose Mitteilungen herausgegeben, aber vergeblich, und jetzt sind sie mit ihrer Weisheit am Ende.
Aber vielleicht findet sich ja noch eine Lösung. Zadig Bey hat von seinem Freund Mr. Moddie erfahren, dass die Hong-Kaufleute um ein Geheimtreffen mit dem Komitee gebeten haben. Sie wollen, dass Mr. Innes dabei zugegen ist, damit sie ihn direkt mit ihren Anschuldigungen konfrontieren können. Vielleicht hoffen sie, die Handelskammer so beschämen zu können, dass sie Maßnahmen gegen Mr. Innes ergreift. Es wäre wirklich dringend zu wünschen, dass etwas dabei herauskommt, mein lieber Paggli-Fratz, denn inzwischen ist der Verkehr auf dem Fluss praktisch zum Erliegen gekommen, und ich weiß nicht, wie oder wann ich ein Boot finde, das diesen Brief mitnimmt.
Bahram hatte geglaubt, die Sondersitzung des Komitees werde in der Great Hall stattfinden, im Erdgeschoss des Gebäudes der Handelskammer. Als er sich jedoch dort einfand, erfuhr er, dass der Tagungsort auf ausdrücklichen Wunsch der Cohong-Kaufleute verlegt worden war; da es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelte, hatten sie um eine abgelegenere Örtlichkeit gebeten. Mr. Lindsay hatte sich daraufhin für den Salon des Präsidenten im dritten Stock entschieden – zu dieser Etage, auf der sich mehrere Privatbüros und Versammlungsräume befanden, hatten nur der Präsident, das Komitee und einige Angehörige des Personals Zutritt.
Als Bahram auf den Salon zuging, hörte er von drinnen eine laute Stimme: »Nein, Sir, ich werde Kanton nicht verlassen, und Sie können mich nicht dazu zwingen! Darf ich Sie daran erinnern, dass ich nicht Mitglied dieser Kammer bin? Ich bin ein freier Mann, Sir, und ich gehorche niemandem. Sie täten gut daran, das nicht zu vergessen.«
Bahram erkannte Innes’ Stimme und blieb stehen.
Seit Tagen graute ihm davor, einem der beiden Männer zu begegnen, in deren Macht es stand, ihn mit der Creek-Faktorei-Affäre in Verbindung zu bringen: Allow und Innes. Doch Allow war zum
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