Der rauchblaue Fluss (German Edition)
abgebildeten Blätter waren elliptisch und hatten schön geformte Tropfspitzen; die Blattstiele waren sorgfältig gezeichnet, die Mittelrippe und die Seitenrippen schimmerten klar unter der glänzenden Epidermis hervor. Auch eine Knospe war dargestellt; ihr Kopf schaute aus der Umhüllung der Kelchblätter heraus, die so dicht gepackt waren wie Fischschuppen.
»Hat Ihnen Sir Joseph dieses Bild gezeigt?«
»Ja, ganz recht.«
Kurz nach Ah Feys Ankunft in Kew war Fitcher erneut zu Sir Joseph Banks bestellt worden. Von ihm erfuhr er, dass William Kerr neben Pflanzen und Bildern Ah Fey auch einen Brief mitgegeben hatte, in dem er darum bat, von seinen Pflichten in Kanton entbunden zu werden. Er hatte bereits mehrere Jahre dort verbracht und wollte unbedingt weg. Da er über zweihundert neue Arten gesammelt hatte, gewährte Sir Joseph ihm seine Bitte und ließ ihn wissen, dass man auf Ceylon eine neue Stelle für ihn schaffen werde.
»Aber es bleibt in Kanton noch viel nützliche Arbeit zu tun«, sagte Sir Joseph. »In der Tat habe ich von einer Blume erfahren, die ein noch größerer Schatz sein könnte als alle Entdeckungen Kerrs. Auch deshalb habe ich entschieden, dass der nächste Mann, den ich nach China entsende, nicht als Repräsentant von Kew reisen wird, sondern als Emissär einer Gruppe privater Geldgeber.«
Mit diesen Worten hatte Sir Joseph Fitcher das Bild von der Goldkamelie ausgehändigt.
»Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, Penrose, dass dies alles strengster Geheimhaltung unterliegt.«
»Nein, Sir.«
»Nun denn, was sagen Sie, Penrose? Sie sind doch ein besonnener, verlässlicher Mann? Haben Sie Lust, sich einen Namen zu machen? Und auch etwas Geld zu verdienen?«
In diesem Augenblick wusste Fitcher bereits, dass dieses Angebot auf die eine oder andere Art sein Leben auf den Kopf stellen würde. Nach seiner Rückkehr hatte er eine Anstellung in Kew bekommen und war zum Vorarbeiter aufgestiegen. Aufgrund dessen hatte er eine junge Frau geheiratet, an die er schon Jahre zuvor in Falmouth sein Herz gehängt hatte, und sie war jetzt schwanger. Es widerstrebte ihm, seine Frau zu diesem Zeitpunkt allein zu lassen, doch sie selbst überredete ihn, das Angebot des Kurators anzunehmen. Sie könne ja für die zwei, drei Jahre bis zu seiner Rückkehr wieder zu ihren Eltern ziehen. In Falmouth seien sehr viele Frauen mit Seeleuten verheiratet, sodass sie nicht die einzige sein würde, die dieses Los zu tragen hatte, und eine Gelegenheit wie diese dürfe man sich nicht entgehen lassen.
So kam es, dass Fitcher zu seiner zweiten Reise nach Kanton aufbrach. Nach zwei Jahren kehrte er mit dem Schatz an Pflanzen zurück, der seinen Ruf begründen und den Grundstein zu seinem Vermögen legen sollte – aber die Goldkamelie war nicht dabei.
»Sie haben also nie eine Spur von ihr entdeckt, Sir?«
»Nein«, sagte Fitcher.
Sir Joseph war nicht bereit gewesen, Fitcher eines der beiden Kamelienbilder anzuvertrauen, sondern hatte ihm nur Kopien mitgegeben. Keine von beiden war besonders kunstvoll ausgeführt, und beide hatten durch die lange Reise nach China gelitten.
»Die Dinge liegen anders, seit ich die Bilder habe«, sagte Fitcher, während er sie in die Mappen zurücklegte. »Jetzt weiß ich, wo ich anfangen muss.«
Nil war noch keine Minute an Bord und sah bereits, dass es nicht übertrieben war, die Anahita als »Palastschiff« zu bezeichnen. Nicht dass sie besonders groß gewesen wäre: Mit nur vierzig Metern war sie kürzer als viele der imposanten europäischen und amerikanischen Schiffe, die in Singapur auf Reede lagen. Doch diese, mochten sie auch noch so gut getrimmt und zuverlässig sein, waren allesamt biedere Handelsschiffe; die Anahita wirkte dagegen mehr wie eine Vergnügungsjacht, das Spielzeug eines reichen Mannes. Ihre Messingbeschläge glänzten in der Sonne, desgleichen die mit Scheuerstein polierten Decks. Bis auf das Fehlen einer Galionsfigur waren nirgends Anzeichen der Schäden zu sehen, die sie in letzter Zeit erlitten hatte. Kein Tau, keine Trosse lag am falschen Platz, und vorn ragte ein neu eingebauter Bugspriet stolz in die Luft.
Während er sich auf dem Hauptdeck umsah, fiel sein Blick auf die Schanzkleider. Von außen hatte es so ausgesehen, als seien sie durchgehend aus schlichtem Holz, doch jetzt sah er, dass sie auf der Innenseite verziert waren mit Motiven aus der Kunst der persischen und mesopotamischen Antike: geflügelten Löwen, kannelierten Säulen und schreitenden
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