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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Schritte gelaufen, kommt schon in flottem Trab ein neues Spektakel daher: Den Mittelpunkt bildet eine hochgestellte Persönlichkeit, ein Mandarin etwa oder ein Kaufmann der Cohong-Gilde in einer Sänfte. Die Männer, die sie an Schulterstangen tragen, werden »schweiflose Pferde« genannt, und ihre Gehilfen laufen trommelnd und rasselnd nebenher, um den Weg frei zu machen. Es ist alles so neu, dass man vor lauter Schauen beinahe von den schwanzlosen Hengsten über den Haufen gerannt wird …
    Dabei ist die ganze Enklave winzig! Fanqui-Town in seiner Gesamtheit – der Maidan, die Straßen und alle dreizehn Faktoreien – würden in einer Ecke des Maidan von Kalkutta Platz finden. Von einem Ende zum anderen ist die Enklave nur gut dreihundert Meter lang und halb so breit. In gewisser Weise ist Fanqui-Town wie ein Schiff auf See, mit Hunderten – nein Tausenden – von Männern, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind. Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keinen zweiten so kleinen und doch so vielfältigen Ort, an dem Menschen aus aller Herren Länder sechs Monate im Jahr auf Tuchfühlung leben müssen. Ich sage Dir, Paglissima mia, würdest Du auf dem Maidan stehen und sehen, wie die Flaggen der Faktoreien vor den grauen Mauern der Zitadelle von Kanton flattern, dann wärst auch Du überwältigt : Es ist, als wäre man am Tor der letzten und größten Karawanserei der Welt angekommen.
    Und doch ist einem andererseits alles so vertraut: Allenthalben sieht man Khidmatgars, Daftardars, Khansamas, Chuprassys, Peons, Durwans, Khalasis und Laskaren. Und das, liebste Paggli, ist eine der größten Überraschungen von Fanqui-Town: Sehr viele seiner Bewohner sind Inder ! Sie kommen aus Sindh und Goa, Bombay und Malabar, Madras und den Coringa Hills, Kalkutta und Sylhet – doch diese Unterschiede spielen für die jungen Männer, die den Maidan bevölkern, keine Rolle. Sie haben ihre eigenen Namen für jede Spielart der fremden Teufel: Die Briten sind die »I-says«, die Franzosen die »Merdes«. Die Hindustanis werden »Achhas« genannt: Egal, ob ein Mann aus Karatschi oder Chittagong stammt, die jungen Burschen laufen ihm scharenweise mit ausgestreckten Händen nach und rufen: »Achha! Achha! Gib cumshaw!«
    Anscheinend glauben sie, dass die Achhas alle aus demselben Land kommen – ist das nicht eine amüsante Vorstellung? Es gibt sogar eine Faktorei, die »Achha Hong« genannt wird – natürlich hat sie keine eigene Flagge.
    Nils Tage im Achha Hong begannen früh. Bahram war ein Mann mit festen Gewohnheiten, und seine Dienstboten und Angestellten mussten sich ihre Zeit nach seinem Willen und seinen Vorlieben einteilen. Für Nil bedeutete das, dass er aufstehen musste, wenn es noch dunkel war, denn er hatte dafür zu sorgen, dass Bahrams daftar seinen Wünschen entsprechend geputzt und aufgeräumt wurde. Der Seth duldete in dieser Hinsicht keine Nachlässigkeiten: Spätestens eine halbe Stunde bevor er ihn betrat, musste der Raum gefegt werden, damit der Staub sich setzen konnte. Nils Schreibtisch und sein Stuhl mussten millimetergenau an ihrem Platz stehen, in der Ecke an der gegenüberliegenden Wand. Dies alles zu bewerkstelligen war keine einfache Aufgabe, denn es bedeutete, dass viele andere geweckt und angetrieben werden mussten, von denen die meisten nicht die geringste Lust hatten, sich von einem so jungen und unerfahrenen Munshi wie Nil herumkommandieren zu lassen.
    Der daftar war ein überaus seltsamer Raum. Er sah aus, als sei er aus einem eisigen Teil Nordeuropas nach China geschafft worden. Die Decke war hoch und von Balken gestützt wie die einer Kapelle, und es gab sogar einen Kamin samt Kaminsims.
    Von Vico hatte Nil erfahren, wie der Seth in den Besitz dieses daftars gelangt war. In seiner ersten Zeit in Kanton hatte Bahram wie die meisten anderen parsischen Kaufleute in der holländischen Faktorei residiert. Man erzählte sich, in ferner Vergangenheit hätten die Parsen in Gujarat den Kaufleuten aus den Niederlanden viel geholfen, und diese hätten dann ihrerseits den Parsen Unterkunft gewährt, als sie anfingen, mit China Handel zu treiben. Zu Hause in Surat hatte auch Bahrams Großvater einmal einen Handelspartner aus Amsterdam gehabt, und aufgrund dieser Verbindung kam Bahram in die niederländische Faktorei. Doch dieser Hong sagte ihm nicht zu: Er war ein düsteres, würdevolles Gebäude, in dem einem schon ein lautes Lachen oder eine erhobene Stimme strafende Blicke oder scheltende Worte

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