Der Rausch einer Nacht
vor Scham und Kummer.
Diana weinte, bis sie Kopfschmerzen bekam und keine Tränen mehr kommen wollten. Dann wischte sie sich die Augen trocken und putzte sich die Nase. Die Minuten vertickten, in denen sie auf das Bild an der gegenüberliegenden Wand starrte, ihre Vergangenheit zu ordnen und neue Pläne für die Zukunft zu schmieden versuchte.
Sie würde die Management-Abteilung personell verstärken, ihre Arbeit mehr delegieren und sich mehr Freizeit gönnen. Am besten einen achtwöchigen Urlaub antreten, in dem sie sich so richtig erholen und alles vergessen konnte. Griechenland kam ihr in den Sinn, eine Luxuskreuzfahrt durch die Ägäis, von Insel zu Insel. Oder sie konnte Freunde in Paris besuchen, Rom erkunden und sich Ägypten ansehen. Natürlich auch ein flüchtiges sexuelles Abenteuer haben. Vielleicht auch zwei. Wenn sie sich mit anderen modernen Frauen verglich, lebte sie ja schon seit längerem praktisch wie eine Nonne. Sie hatte ein Anrecht darauf, sich auch solche Freiheiten zu nehmen. Jawohl, ein sehr großes Anrecht sogar! Natürlich würde sie dabei darauf achtgeben, die Vereinbarung mit Cole nicht zu verletzen oder ihn in Verlegenheit zu bringen.
Cole.
Diana dachte noch ein oder zwei Minuten darüber nach, stand dann auf, lief zum Kleiderschrank und zog sich einen Morgenmantel an. Sie würde sich aufrichtig bei ihm entschuldigen. Das hatte er mehr als verdient.
Cole lag auf dem Bett, lehnte mit den Schultern an der Wand und preßte die Zähne aufeinander. Er hörte das Schluchzen aus dem Nebenzimmer, und das ging ihm zu Herzen.
Er war ein Paria, beschimpfte er sich voller Abscheu. Ein Dämon, der jeden zerstörte, der in seine Nähe kam. Eben ein echter Harrison. Bei anständigen Menschen hatte er nichts verloren, und er durfte sich nicht länger einbilden, weiter und höher zu kommen als die anderen aus seiner Familie.
Nun gut, er konnte mehr Geld verdienen als die Harrisons, sich auch besser kleiden, seinen Akzent ablegen und auch sonst auf sein äußeres Erscheinungsbild achten, aber er würde nie den Schmutz von Kingdom City verlieren, der an seiner Seele klebte, das ihm in den Genen mitgegeben war.
Zahllose Frauen hätten ihm zur Verfügung gestanden, um diese Scheinehe durchzuführen. Schauspielerinnen, Kellnerinnen oder auch eine von diesen gelangweilten Schönheiten aus der Oberschicht, die moralisch und geistig genauso verkommen waren wie er.
Aber nicht Diana Foster. Sie war etwas Besonderes. Sie gehörte nicht zu dieser Schickeria. Sie war von innerem Adel und rein.
Und unwiderstehlich...
Cole hatte letzte Nacht kein Recht gehabt, sich ihr zu nähern - und schon gar nicht, sie zu einer Ehe mit ihm zu beschwatzen. Nur ein dreckiger Mistkerl wie er konnte dann auch noch ihre Lage ausnutzen, um über sie herzufallen und mit ihr zu schlafen.
Er hatte nie beabsichtigt, es so weit kommen zu lassen. Wie hatte er sich davon zu überzeugen versucht, daß das nie geschehen würde. Und seine Selbstkontrolle, auf die er sich immer so viel einbildete, hatte nicht einmal einen Tag gehalten.
Und eben hatte er ihr vorgeworfen, sein Ego verletzt zu haben. Als ob ausgerechnet er so etwas zu ihr sagen dürfte!
Harrison dachte daran, was seine Frau alles in ihrem Leben erreicht hatte, und er war so stolz auf sie, daß es ihm die Brust zusammenzog. Unvermittelt klopfte es an die Tür.
»Cole, kann ich dich bitte für einen Moment sprechen?«
Er erhob sich und bat sie einzutreten. Als sie hereinkam, trug sie einen weißen Seidenmorgenmantel mit einem blauen Monogramm auf der Tasche und zerdrückte in einer Hand ein Taschentuch. In diesem Moment erwachte sein längst abgestorben geglaubtes Gewissen und machte ihm die schwersten Vorwürfe.
Noch vor vierundzwanzig Stunden war sie mit der Haltung und dem Aussehen einer Königin ins Hotel geschwebt. Und nach nur einem Tag Ehe mit Cole Harrison wirkte sie schon wie eine freudlose, vom Leben gebeutelte Frau. Wenn sie das vertraglich vereinbarte Jahr mit ihm durchstand, würde Diana wahrscheinlich aussehen wie seine Mutter kurz vor ihrem Tod.
»Diana«, sagte er und bemühte sich, seiner Stimme nichts von dem anmerken zu lassen, was in ihm vorging.
Sie schüttelte den Kopf, damit er nicht weiterredete, und ihr Haar schimmerte im Lampenlicht wie Kupfer.
»Setz dich doch bitte«, forderte sie ihn mit zitternder Stimme auf und bewegte sich auf die Sesselgruppe zu. »Da sind ein paar Dinge, über die ich mit dir reden möchte«, erklärte sie und
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